Einen Rollstuhl allein mit der Kraft der Gedanken steuern: Darum dreht sich ein aktuelles Forschungsprojekt im Bergmannsheil. Eine internationale Arbeitsgruppe testet, wie ein sogenanntes Brain-Computer-Interface (BCI) querschnittgelähmten Menschen neue Möglichkeiten der Mobilität eröffnen kann. Das System erfasst die elektrischen Gehirnimpulse des Fahrers, übersetzt sie in Steuerungsbefehle und bewegt somit einen Elektrorollstuhl – und zwar so, wie es sich der Fahrer zuvor vorgestellt hat. Das Projekt wird durchgeführt von einer internationalen Arbeitsgruppe der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), CNBI – Defitech Chair in Brain-Machine Interface (Prof. Dr. José del R. Millán, Dr. Luca Tonin), und dem BG Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum (Chirurgische Klinik: Prof. Dr. Thomas A. Schildhauer, Abteilung für Neurochirurgie und Neurotraumatologie: Prof. Dr. Ramón Martínez-Olivera, Abteilung für Rückenmarkverletzte: Dr. Mirko Aach). Die ersten Patienten haben das Training mit dem BCI-System bereits erfolgreich absolviert: Anschließend waren sie in der Lage, einen Parcours mit verschiedenen Richtungswechseln und Hindernissen erfolgreich im Rollstuhl zu befahren.
„Als BG Klinik sind hochinnovative Forschung und die Suche nach neuen Therapieoptionen für schwerstverletzte Patienten für uns von zentraler Bedeutung“, sagt Prof. Dr. Thomas A. Schildhauer, Ärztlicher Direktor des Bergmannsheils und Direktor der Chirurgischen Klinik. „Wir haben bereits vor Jahren damit begonnen, den therapeutischen Nutzen des HAL-Exoskeletts für die Rehabilitation querschnittgelähmter Menschen zu erforschen. Dank der Kooperation mit der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) können wir mit dem Brain-Computer-Interface-Projekt jetzt ein weiteres hochspannendes Forschungsfeld erschließen, das künftig die Medizin revolutionieren wird.“
Wie Gedanken „gelesen“ werden können
Damit das Brain-Machine-Interface Gehirnimpulse in Steuerungsbefehle übersetzen kann, wird dem Anwender zunächst eine Enzephalographie-Haube (EEG) auf den Kopf gesetzt. So kann die elektrische Hirnaktivität des Anwenders gemessen werden. Dann müssen Mensch und Maschine in einem Training voneinander lernen, welcher Impuls mit welcher Bewegungsidee verknüpft ist, um später auf diese Weise miteinander kommunizieren zu können.
Im ersten Schritt erfasst das BCI-System die elektrischen Gehirnsignale im Ruhezustand des Patienten. Im zweiten Schritt stellt sich der Patient bestimmte Bewegungsmuster vor, beispielsweise das Bewegen der Hände oder der Füße. Diese Bewegungsvorstellungen aktivieren unterschiedliche anatomische Regionen im Bereich des Bewegungszentrums des Gehirns. Das System gleicht die unterschiedlichen Aktivitätsmuster des Ruhezustandes und die Aktivitätsmuster der jeweiligen Bewegungsideen miteinander ab. So „lernt“ das BCI-System, die vorgestellte Bewegung zu erfassen und sie in einen Steuerungsbefehl zu übersetzen. Wenn der Anwender sich vorstellt, er bewege seine Hände, fährt der Rollstuhl nach rechts, denkt er an eine Bewegung der Füße, fährt er nach links. Denkt er weder an das eine noch das andere, fährt der Rollstuhl geradeaus.
Um die Sicherheit des Fahrers zu gewährleisten, kann der Rollstuhl im Bedarfsfall selbst stoppen. Dies funktioniert dank künstlicher Intelligenz. An der Vorderseite des Rollstuhls befinden sich eine Infrarot-Kamera und ein Laserscanner. Diese Systeme generieren zwei 3-D-Karten, die miteinander verknüpft werden. Die eine beschreibt die beabsichtigte Route, die andere erfasst die Hindernisse, die sich auf der Zielroute befinden. Wenn der Fahrer auf ein Hindernis zusteuert und eine Kollision droht, stoppt der Rollstuhl von selbst.
Von der Grundlagenforschung zur Zukunftsvision
„Noch ist unser Projekt reine Grundlagenforschung“, erklärt Prof. Dr. Ramón Martínez-Olivera vom Bergmannsheil. „In Zukunft aber könnten querschnittgelähmte Menschen, die weder Beine noch Arme bewegen können, mit einem solchen System ein großes Stück Selbstbestimmung und Mobilität zurückgewinnen. Auch neue Rehabilitationsmöglichkeiten für Patienten mit Lähmungen werden mit BCI-Systemen untersucht.“ Dr. Luca Tonin, Technische Hochschule Lausanne, ergänzt: „Unsere Ergebnisse verdeutlichen das enorme Potenzial solcher Brain-Computer-Schnittstellen. Dabei bietet uns die klinisch-wissenschaftliche Kooperation mit dem Bergmannsheil die Möglichkeit, unser BCI-System in einer realitätsnahen Anwendungssituation mit betroffenen Menschen erproben und entwickeln zu können.“
Über das Bergmannsheil
Das BG Universitätsklinikum Bergmannsheil zählt zu den größten Akutkliniken der Maximalversorgung im Ruhrgebiet. 1890 als erste Unfallklinik der Welt zur Versorgung verunglückter Bergleute begründet, vereint das Bergmannsheil heute 23 hochspezialisierte Kliniken und Fachabteilungen unter einem Dach. Rund 2.200 Mitarbeiter stellen die qualifizierte Versorgung von rund 84.000 Patienten pro Jahr sicher.
Das BG Universitätsklinikum Bergmannsheil gehört zur Unternehmensgruppe der BG Kliniken. Die BG Kliniken sind spezialisiert auf die Akutversorgung und Rehabilitation schwerverletzter und berufserkrankter Menschen. In neun Akutkliniken, zwei Kliniken für Berufskrankheiten und zwei Ambulanzen versorgen über 13.000 Beschäftigte mehr als 560.000 Fälle pro Jahr. Träger der BG Kliniken sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Weitere Informationen: www.bergmannsheil.de, www.bg-kliniken.de
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Prof. Dr. Ramón Martínez-Olivera
Leitender Arzt
Abteilung BG Neurochirurgie und Neurotraumatologie
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