Bakterien haben vielfach einen schlechten Ruf. Sie sorgen für Erkältung und Durchfall und andere unerfreuliche Begleiterscheinungen. Die meisten Menschen möchten deshalb möglichst wenig mit ihnen zu tun haben. Manche Bakterien sind aber durchaus nützlich. Für die Verdauung im Darm sind sie beispielsweise unersetzlich: Sie produzieren Vitamine und Fettsäuren, andere sorgen dafür, dass Ballaststoffe verdaut oder Stärke verwertet werden. Aufgenommen werden die Darmbakterien etwa bei der Geburt oder später durch den täglichen Kontakt zwischen Eltern und Nachkommen. Das sogenannte Mikrobiom, also die mit einem Organismus zusammen lebenden Mikroorganismen, beeinflusst darüber hinaus aber auch maßgeblich seine Evolution. Ein Forschungsteam rund um Professor John Baines, Mitglied im Exzellenzcluster „Entzündungsforschung“ und Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, hat die Darmflora und das Erbgut zweier europäischer Mäuse-Unterarten analysiert: Mus musculus domesticus kommt westlich einer Linie vor, die durch die neuen Bundesländer, Bayern, das westliche Österreich und den Balkan zum Schwarzen Meer verläuft. Mus musculus musculus lebt östlich dieser Grenze. Die beiden Unterarten der Mäuse können sich zwar noch untereinander fortpflanzen, doch ihre Nachkommen sind weniger fruchtbar als reinerbige Tiere.
Die Forscherinnen und Forscher untersuchten das Erbgut und Darmgewebe von Hybriden aus der rund 40 Kilometer breiten Überlappungszone, in der beide Unterarten gemeinsam vorkommen und sich miteinander kreuzen. Ihre Ergebnisse verglichen sie darüber hinaus mit Analysen von im Labor gezüchteten Tieren der beiden Unterarten und ihren Hybriden. Die Artenvielfalt der Darmbakterien wurde mittels genetischer Analysen bestimmt. Dabei zeigte sich, dass nicht nur Labor- und Wildmäuse jeweils eine deutlich andere Darmflora besitzen, sondern auch die beiden Unterarten und die Hybriden. Die Mischlinge unterscheiden sich sogar deutlicher von ihren reinerbigen Eltern, als diese voneinander. „Die Unterschiede zwischen Labor- und Wildtieren lassen sich durch die verschiedenen Lebens- und Ernährungsbedingungen leicht erklären. Auf die Differenzen zwischen den wilden Mäusen trifft das nicht zu, denn die Tiere kommen in der Natur im selben Lebensraum vor“, sagt Professor Baines, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.
Die Erklärung der Forschenden: Der Grund sind die Gene – insbesondere die Gene für das Immunsystem. Mäuse mit unterschiedlichen Varianten von Immungenen besitzen demnach auch eine andere Bakterienzusammensetzung im Darm. Ein Beispiel dafür, wie das Immunsystem die Darmflora beeinflusst, sind die T-Zellen. Diese Immunzellen kommen auch im Darmgewebe vor und unterscheiden sich bei den Hybridmäusen. Solche Unterschiede im Immunsystem der Mischlinge beeinträchtigen offenbar die Bakterien im Darm.
Die Darmflora der Hybriden besteht also einerseits aus weniger Arten, gleichzeitig kommen die jeweiligen Arten unterschiedlich häufig vor. Hybriden haben etwa deutlich mehr Helicobacter-Bakterien als beide reinrassigen Tiere der Elterngeneration. Die zu dieser Gruppe gehörenden Arten gelten als Verursacher von Darmgeschwüren beim Menschen. Blautia-Bakterien dagegen kommen in den Mischlingen relativ selten vor. Das ist anscheinend nicht zum Wohl der Mäuse, denn die Forscher haben festgestellt, dass das Darmgewebe der Hybriden häufiger entzündet ist als das der Elterntiere. „Dies ergänzt frühere Ergebnisse, wonach die Hybride der beiden Maus-Unterarten eine geringere Fitness aufweisen, also schwächer und kränker sind und weniger Junge bekommen“, so Baines. Das Erbgut der beiden Mäuse-Unterarten hat sich also schon so weit auseinander entwickelt, dass Hybride ihren Darmbakterien keine optimalen Bedingungen mehr bieten können und die Tiere dadurch eine geringere Fitness besitzen.
Originalpublikation:
Wang, J, Kalyan, S, Steck, N, Turner, LM, Harr, B, Künzel, S, Vallier, M, Häsler, R, Franke, A, Oberg, H-H, Ibrahim, SM, Grassl, GA, Kabelitz, D und Baines, JF (2015): Analysis of intestinal microbiota in hybrid house mice reveals evolutionary divergence in a vertebrate hologenome. Nature Communications, http://dx.doi.org/10.1038/ncomms7440.
Bildmaterial steht zum Download bereit:
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Die beiden Unterarten der Hausmaus in Europa: Mus musculus musculus aus Österreich (links) und Mus musculus domesticus aus Deutschland (rechts).
Foto: Christine Pfeifle, Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie
Kontakt:
Professor John Baines
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Der Exzellenzcluster „Inflammation at Interfaces/Entzündungsforschung“ wird seit 2007 durch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder mit einem Gesamtbudget von 68 Millionen Euro gefördert; derzeit befindet er sich in der zweiten Förderphase. Die rund 300 Clustermitglieder an den insgesamt vier Standorten: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Lübeck (Universität zu Lübeck, UKSH), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften) forschen in einem innovativen, systemischen Ansatz an dem Phänomen Entzündung, das alle Barriereorgane wie Darm, Lunge und Haut befallen kann.
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