Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus der CME-Fortbildung „Nicht-spezifischer Rückenschmerz – Eine diagnostische und therapeutische Herausforderung“ erstveröffentlicht in dem API-Fachmagazin „der niedergelassene arzt“. Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über die aktuellen Empfehlungen zur Therapie des nicht-spezifischen Rückenschmerzes zu geben. Die Arbeit beruht in ihren zentralen Inhalten auf den Empfehlungen der Nationalen VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz (NVL-K) in ihrer 2. Auflage aus dem Jahre 20171, ergänzt um eine selektive Literaturrecherche zu einzelnen wichtigen therapeutischen Aspekten.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten Rückenschmerzen zu klassifizieren. Grundsätzlich bietet sich zunächst die Unterteilung zwischen spezifischen und nicht-spezifischen Rückenschmerzen an. Der spezifische Rückenschmerz ist hierbei definiert durch eine feststellbare somatische Ursache, deren spezifische Therapie den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann. Als Beispiel sei der Bandscheibenvorfall mit Radikulopathie genannt. Entsprechend fehlt es dem nicht-spezifischen Rückenschmerz nach Abschluss der diagnostischen Maßnahmen an Ursachen, die Schmerzerleben und Schmerzauswirkungen ausreichend beschreiben können. Etwa 85 % der Rückenschmerzen gelten als nicht spezifisch.8
Eine weitere Differenzierung kann anhand zeitlicher Kriterien vorgenommen werden. Ein akuter Rückenschmerz dauert über einen Zeitraum von weniger als 6 Wochen an, gefolgt vom subakuten Rückenschmerz mit bis zu 12 Wochen. Über diesen Zeitraum hinaus sind Rückenschmerzen chronisch. Der klinisch nachrangige Begriff rezidivierender Rückenschmerzen beschreibt einen neuerlichen Schmerzeintritt nach vorheriger, wenigstens 6 Monate andauernder Beschwerdefreiheit.
Der Umgang mit Rückenschmerzpatienten erfordert eine stadiengerechte Diagnostik. Diese dient, insbesondere auch im Erstkontakt, im Kontext eines ressourcenorientierenden Managements definierten Zielen:
- Erkennen von Notfällen
- Erkennen von Beschwerden, die einer spezifischen Therapie bedürfen
- Erkennen von „extravertebragenen“ Ursachen
- Gezielte Steuerung weiterführender Untersuchungen
- Erkennen von Chronifizierungsfaktoren (yellow, blue und black flags)
Tabelle 1 listet hierbei, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, wichtige Differentialdiagnosen auf. Es sei angemerkt, dass es sich bei den extravertebragenen Ursachen ebenfalls um spezifische Rückenschmerzen handelt, die u. U. sogar notfallmäßig (z. B. Myokardinfarkt) der Behandlung durch die entsprechende Fachdisziplin zugeführt werden müssen.


Tab. 1: Auflistung wichtiger Ursachen vertebragener und extravertebragener Rückenschmerzen (ergänzt nach [1,15])
(Hinweis) Weitere Informationen zur strukturierten Anamneseerhebung finden Sie beim
Online-Beitrag auf www.der-niedergelassene-arzt.de/cme/aktuelle-fortbildungen/128-nicht-spezifischer-rueckenschmerz-eine-diagnostische-und-therapeutische-herausforderung/flag-1/group-0 .
Therapie
Im Grundsatz bestimmt die mutmaßliche Genese des Rückenschmerzes den therapeutischen Entscheidungsvorgang. Ein spezifischer Rückenschmerz bedarf somit der spezifischen Therapie, was aufgrund der Diversität etwaiger Entitäten nicht Gegenstand dieses Artikels zu sein vermag.
Auch bezüglich der Grundsätze zur Behandlung des nicht-spezifischen Rückenschmerzes definiert die NVL-K wichtige Prinzipien:
- ein Arzt hat eine „Lotsenfunktion“
- „shared decision making“
- Aktivierung des Patienten
- medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapie zur Unterstützung aktivierender Maßnahmen
- Edukation (gesundheitsbewusstes Verhalten, biopsychosoziales Schmerzmodell)
- frühzeitige Entwicklung interdisziplinärer Behandlungspläne
Patienten benötigen im Rahmen der Behandlung eine vertrauensvolle zentrale Anlaufstelle, auch um Überdiagnostik zu verhindern, alle Befunde zu bündeln und um nach gemeinsamer Abstimmung weitere diagnostische/therapeutische Schritte zu unternehmen. Grundsätzlich wird jedwede Form aktivierender Therapiemaßnahmen den passiven bevorzugt. Dem Patienten soll Angst vor angemessener körperlicher Bewegung genommen werden (Mut machen), denn sie fördert die Linderung der Beschwerden durch Lockerung. Hierbei ist die Edukation, auch mit Vermittlung biopsychosozialer Zusammenhänge in ihren Grundzügen, ein wichtiger Baustein.
Die NVL-K empfiehlt frühzeitig Interdisziplinarität, nämlich bereits bei Arbeitsunfähigkeit > 2 Wochen durch das Hinzuziehen einer weiteren Fachdisziplin. Bei > 4 Wochen sollen yellow flags bedacht und erhoben und nach 6 bzw. 12 Wochen ein multidisziplinäres Assessment durchgeführt werden.
Bedauerlicherweise ist bekannt, dass national und international eine erhebliche Diskrepanz zwischen Evidenz zu einzelnen diagnostischen und therapeutischen Verfahren und der gelebten klinischen Praxis besteht.20
Nicht-medikamentöse Therapie
Die weiteren, äußerst umfangreichen therapeutischen Maßnahmen sind durch die Leitlinienkommission auf ihren Evidenzgrad geprüft worden.
Tabelle 2 visualisiert ausgewählte Empfehlungsgrade zu konservativen, nicht-medikamentösen Behandlungsformen.

Tab. 2: Empfehlungsgrade ausgewählter konservativ nicht-medikamentöser Behandlungen des nicht-spezifischen Rückenschmerzes in Abhängigkeit der zeitlichen Klassifikation
(↑↑ „soll“, ↑ „sollte“, ↔ „kann“, ↓ „sollte nicht“, ↓↓ „klare Ablehnung“; modifiziert nach [1])
Auch die Evaluation neuerer Publikationen bestärkt die getroffenen Empfehlungen. Die (passive) manuelle Therapie zeigt insbesondere durch die Mobilisation allenfalls leichte Verbesserungen von Schmerz und Funktionseinschränkung21, wenngleich eine randomisierte klinische Studie im direkten Vergleich zu Trainingstherapie (abgesehen von einer besseren Patientenzufriedenheit) keine zusätzliche Schmerzreduktion oder Funktionsverbesserung zeigen konnte22 und mehrere Cochrane-Reviews bei akuten und chronischen Rückenschmerzen keine Überlegenheit gegenüber Placebo- oder sonstiger Behandlung sahen.23–25
Verhaltenstherapie zeigt auch bei bereits laufender Physiotherapie einen zusätzlichen Effekt auf Schmerzreduktion, Funktion, Einschränkungen und die Lebensqualität.26,27 Es empfiehlt sich diese personalisiert in ein multimodales Therapiekonzept zu implementieren.27
Eine Netzwerk-Metaanalyse aus dem Jahre 2019 unterstützte die positiven Effekte von Trainingsübungen in einem systematischen Vergleich unterschiedlicher Verfahren. Positiv wurden hier insbesondere Pilates auf den Schmerz, Widerstandstraining und aerobes Training auf die psychische Gesundheit und Widerstandstraining sowie Stabilisierung/motorische Kontrolle auf die physische Funktion bewertet.28 Auch Walking konnte einen im Vergleich zu anderen nicht-medikamentösen Behandlungen gleichwertigen günstigen Effekt erzielen.29
Andere Therapieformen wie Interferenzstromtherapie, Kinesio-Taping, Kurzwellendiathermie, Lasertherapie, Magnetfeldtherapie, perkutane elektrische Nervenstimulation (PENS), Kältetherapie, Traktion, transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), therapeutischer Ultraschall und medizinische Hilfsmittel werden nicht empfohlen.1,20 Diese Empfehlungen werden für das Kinesio-Taping, die TENS und den Ultraschall auch durch neuere Publikationen gestützt.30–32 Eine randomisierte kontrollierte Studie konnte zuletzt bei Langzeit-Anwendung von lumbosakralen Orthesen keine negativen Einflüsse auf die motorische und klinische Funktion feststellen. Schmerz und Behinderung konnten insbesondere durch Orthesen mit hohem Druck signifikant reduziert werden. Hierbei blieb die Muskelstärke des Rumpfes erhalten und die Propriozeption wurde gar verbessert.33
Da es in der wissenschaftlichen Literatur jedoch auch abweichende Studienergebnisse gibt, kann dennoch eine vorbehaltlose Anwendung von Orthesen bei Rückenschmerz nicht empfohlen werden. Dies ist konform zu den Erläuterungen der NVL-K.1Insbesondere der passive Charakter dieser Behandlungsform sollte Zurückhaltung wahren lassen.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Behandlung verfolgt das Ziel einer rein symptomatischen, zeitlich limitierten Behandlung zur Unterstützung der nicht-medikamentösen Behandlung in der Akutphase. Die wissenschaftlichen Untersuchungen zu allen empfohlenen Medikamentengruppen zeigen eine allenfalls mäßige Wirksamkeit und, insbesondere bei Langzeiteinnahme, relevante Risiken für unerwünschte Arzneimittelwirkungen.
Die Auswahl der individuellen Medikation erfolgt unter Berücksichtigung patientenindividueller Faktoren wie Begleiterkrankungen, Begleitmedikation (Interaktionspotential!), Unverträglichkeiten, Vorerfahrungen und Präferenzen des Patienten. Bei Fragen zur Eignung etwaiger Medikamente im Alter wird die Prüfung über die aktuelle FORTA- oder PRISCUS-Liste empfohlen. Es wird grundsätzlich empfohlen, die Medikation in oraler Applikationsform zu nutzen. Die häufig genutzten i. m.- oder i. v.-Injektionen sind nicht überlegen, jedoch risikogeneigt.8
In erster Linie werden zur Schmerzbehandlung nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) empfohlen, die eine kurzzeitige schmerzlindernde und funktionsverbessernde Wirksamkeit nachweisen konnten. Die sollten in der niedrigsten wirksamen Dosis so kurz wie möglich Anwendung finden. Die Einnahme soll per os, nicht parenteral oder topisch erfolgen.
Bei Risiko oder vorbekannten gastrointestinalen Risikofaktoren wird die Kombination mit Protonenpumpeninhibitoren empfohlen. Bei Unverträglichkeit oder Kontraindikationen gegen NSAR können subsidiär COX-2-Hemmer oder Metamizol angewendet werden.
Die Anwendung von (niedrigpotenten) Opioiden der Stufen 2 und 3 des WHO-Stufenschemas ist umstritten. Sie sollte die Ausnahme sein und nur unter strenger Aufsicht erfolgen. Bei akuten und subakuten Rückenschmerzen haben sie eine Indikation nur bei fehlendem Ansprechen oder Kontraindikationen gegen Nicht-Opioide. Auf eine transdermale Applikation soll verzichtet werden.
Bei chronischen Schmerzen sieht die NVL-K aufgrund fehlender Daten zur Langzeitanwendung einen Zeitraum von 4 – 12 Wochen der Anwendung unter regelmäßiger klinischer Reevaluation vor. Eine längerfristige Nutzung sei möglich, sofern im Zuge der befristeten Therapie eine klinisch relevante Schmerzreduktion und/oder Verbesserung des Beeinträchtigungserlebens eintritt. Diese Empfehlungen lassen sich auch durch neuere Untersuchungen von Bialas et al. stützen, die eine Verbesserung von Schmerz und Behinderung bei 30 % der Patienten bei Langzeitanwendung ≥ 26 Wochen sahen.34 Es wird dennoch empfohlen, die Opioidtherapie nur im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes durchzuführen und zu beenden, wenn das Therapieziel nicht erreicht wird. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund auch hierzulande steigender Prävalenz der Verschreibung von Opioiden sinnvoll zu beachten.35
Die weit verbreitete koanalgetische Therapie mit Antidepressiva hat eine Indikation bei chronischen Rückenschmerzen und assoziierter Depression oder Schlafstörung. Zugelassen sind Nicht-selektive Monoamin-Reuptake-Inhibitoren (Amitriptylin, Clomipramin, Imipramin, Trimipramin) oder selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Duloxetin) bei jedoch inkonsistenter Datenlage.
Supportiv kann bei chronischen Rückenschmerzen in Kombination zu aktivierenden Maßnahmen Weidenrinde (Salix alba) evidenzbasiert angewendet werden und auch Capsaicin bei akuten wie auch chronischen Rückenschmerzen in Form eines Selbstmanagements (z. B. selbstständige Pflaster- oder Salbenapplikation).
Keine Empfehlung findet Paracetamol aufgrund unzureichender Wirksamkeit. Zentrale Muskelrelaxantien werden, trotz durchaus geringer Schmerzreduktion bei akuten Rückenschmerzen36, wegen zentralnervöser Nebenwirkungen und Suchtpotenzial nicht empfohlen. Substanzen wie Gabapentin, Pregabalin, Topiramat oder Carbamazepin bleiben Einzelfällen vorbehalten, mit neuropathischer Schmerzkomponente, was jedoch nur in einer Minderheit der Fälle (ca. 36 %) gegeben ist. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Kombination unterschiedlicher Analgetika kaum zusätzlichen analgetischen Effekt bringt und keinen zusätzlichen positiven Einfluss auf die funktionelle Beeinträchtigung hat.37 Kortikoide wie auch Benzodiazepine haben ebenfalls keine Evidenz.36
Wenngleich einzelne Hinweise auf einen Opioid-sparenden Effekt durch Cannabinoide, welche gegenwärtig nicht Bestandteil der NVL-K sind, vorliegen und kleine klinische Studien diesen eine Rolle in der medikamentösen Behandlung zusprechen, erlaubt die aktuelle Datenlage keine allgemeingültige Empfehlung zur Anwendung beim chronischen Rückenschmerz.38
Interventionelle Therapie
Interventionelle oder gar operative Therapieverfahren werden nicht empfohlen. Bei letzteren lässt sich die fehlende Indikation bereits aus der Definition des nicht-spezifischen Rückenschmerzes herleiten.
Multimodale Therapie
Multimodale Therapieprogramme sind der Goldstandard in der Behandlung chronischer Schmerzen. Sie sind definiert als gleichzeitige, inhaltlich, zeitlich und in der Vorgehensweise aufeinander abgestimmte umfassende Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen, in die verschiedene somatische, körperlich übende, psychologisch übende und psychotherapeutische Verfahren nach vorgegebenem Behandlungsplan mit identischem, unter den Therapeuten abgesprochenem Therapieziel eingebunden sind.39 Es handelt sich um eine evidenzbasierte Therapie mit belegten Langzeiteffekten.40 Wenngleich die inhaltliche Zusammenstellung zwischen Institutionen variiert, soll im Rahmen des modularisierten Therapieplans auf die patienteneigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse eingegangen werden. Eine aktuelle Untersuchung zeigte hier, dass eine Vielzahl aktiver Therapieinhalte durch die Patienten selbst als hilfreich wahrgenommen wird.41
Therapeutische Hilfen
Als therapeutische Hilfestellung bieten sich die auf der Homepage der AWMF publizierten und frei verfügbaren Patienteninformationen des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) zum akuten und chronischen Rückenschmerz an. Diese bieten allgemeinverständliche, grundlegende Informationen über Genese, Diagnostik sowie Therapie und liefern dem Patienten zudem Informationen darüber, wie er selbst positiv den Krankheitsverlauf beeinflussen kann.42,43
Grundsätzlich gilt zudem, dass ausreichend Zeit einen Grundpfeiler einer gelungenen Arzt-Patienten-Beziehung darstellt. Erste aktuelle Auswertungen eines Programms mit Beteiligung von AOK Baden-Württemberg, BKK Bosch und dem Berufsverband der Ärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie verdeutlichen eines eindrucksvoll: Mehr Zeit für den Patienten vermag die Zahl an weiteren Facharztkontakten, Arbeitsunfähigkeitstagen, Hospitalisierung und Bandscheibenoperationen zu senken.44
(Autoren) Schwarze M1, Schiltenwolf M1, Akbar M2*
1 Dr. Martin Schwarze & Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg
martin.schwarze@med.uni-heidelberg.de,
marcus.schiltenwolf@med.uni-heidelberg.de
2 Prof. Dr. med. Michael Akbar: Clinic für Wirbelsäulenerkrankungen und -Therapien, MEOCLINIC GmbH
michael.akbar@meoclinic.de
(Infokasten) Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus der CME-Fortbildung „Nicht-spezifischer Rückenschmerz – Eine diagnostische und therapeutische Herausforderung“ erstveröffentlicht in dem API-Fachmagazin „der niedergelassene arzt“. Den kompletten Artikel sowie den Fragebogen zur Fortbildung finden Sie online unter „Allgemeinmedizin“: www.ni-a.de/cme/ Sammeln Sie 3 CME Punkte!
Hier geht es direkt zur Fortbildung: QR-Code: https://www.der-niedergelassene-arzt.de/cme/aktuelle-fortbildungen/128-nicht-spezifischer-rueckenschmerz-eine-diagnostische-und-therapeutische-herausforderung/flag-1/group-0