Chancen und Risiken einer Digitalisierung der Lebensmittel-Wertschöpfungsketten

Gemeinsam mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat der Leibniz-Forschungsverbund „Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung“ im Rahmen des Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) zum vierten Mal in Folge Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik eingeladen, um aktuelle Entwicklungen und Handlungsbedarfe einer zukunftsfähigen Lebensmittelproduktion kritisch zu diskutieren.

Das Thema in diesem Jahr lautete: „Digitale Technologien für Lebensmittel-Wertschöpfungsketten: Potentiale und Hemmnisse“. Vor dem Hintergrund der vielfältigsten Potentiale, welche die Digitalisierung für eine größere Nachhaltigkeit und Transparenz entlang der Lebensmittel-Wertschöpfungsketten eröffnet, widmeten sich die Expertinnen und Experten insbesondere Fragen zum effektiven Einsatz digitaler Technologien zur Umsetzung und Verbesserung von Nachhaltigkeit und Transparenz in allen Abschnitten und Bereichen der Wertschöpfungskette „from farm to fork“ sowie zu den dafür notwendigen gesellschaftlichen, u.a. regulatorischen, ethischen und ökonomischen Rahmenbedingungen.

Prof. Dr. Reiner Brunsch, Sprecher des Veranstalters Leibniz-Forschungsverbund „Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung“ betonte, dass trotz der „momentanen Euphorie über die vielfältigsten Potentiale der Digitalisierung nicht vernachlässigt werden darf, dass „wichtige Fragen bislang nicht beantwortet“ sind. Die „Wissenschaft als neutraler Akteur“ sollte eine zentrale Rolle bei der Abschätzung von momentanen und zukünftigen Entwicklungen und deren Potentialen und Risiken einnehmen. Reiner Brunsch: „Ziel des diesjährigen Fachpodiums war die Skizzierung konkreter Handlungserfordernisse, die dazu beitragen sollen, durch die neue Quantität und Qualität von Informationen einer transparenten und nachhaltigen wissensbasierten Bioökonomie einen Schritt näher zu kommen.“

Hinsichtlich der Effizienz des Einsatzes digitaler Technologien, so Prof. Dr. Cornelia Weltzien (Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie, ATB), seien „diese nur dann geeignete Werkzeuge zur Gewährleistung maximaler Effizienz und Nachhaltigkeit innerhalb der Lebensmittel-Wertschöpfungskette, wenn die an sich neutrale Technik dementsprechend ausgerichtet wird. Auch könne das Ziel, konkrete Handlungsanweisungen über digitale Technologien zu erhalten nur erreicht werden, wenn die Interaktion zwischen Mensch und Maschine intuitiv erfolgt“.

Cornelia Weltzien sieht zudem akuten Handlungsbedarf bezüglich der „Schließung erheblicher Lücken zwischen Datengewinnung und Wissensmanagement“. Hierfür sollte insbesondere der „Ausbau notwendiger Infrastrukturen (z.B. 5G-Netz) vorangetrieben werden“.

Eine weitere große Herausforderung besteht in der Vermeidung einer „Marktkonzentration von Anbietern digitaler Technologien“, führte Prof. Dr. Hermann Lotze-Campen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) an. Denn dies könnte für die Nutzerinnen und Nutzer im Landwirtschaftsbereich „zu Abhängigkeiten von Technologienbietern führen“.

Um dies zu vermeiden, bedarf es Steuerungsmechanismen, so Dianne Taillard (GS1 Global Office), die eine „gemeinsame statt einer zersplitterten Vorgehensweise“ unterstützen. Eine „kooperative Vorgehensweise verschiedenster Akteure ist notwendig, damit trotz ansteigender Komplexität innerhalb der Wertschöpfungsketten Transparenz und Interoperationalisierbarkeit von Daten und Informationen aber auch von IT-Lösungen gewährleistet werden können. Die möglichen Vorteile digitaler Technologien hängen im großen Maße von den lokalen Bedingungen, einer gemeinsamen Ebene der Kommunikation, bzw. einer gemeinsamen Sprache hinsichtlich der genutzten Tools und den jeweiligen Zugängen zu Technologien ab“.

Einer Rahmensetzung bedürfe es allerdings nicht nur bei technischen Aspekten wie der Interoperationalisierbarkeit, also der Überwindung sektoraler Schranken bei der Zusammenführung von Informationen in eine gemeinsame Datenstruktur, sondern auch bei der „Gewährleistung von Datenschutz und Eigentümerrechten“, unterstreicht Hermann Lotze-Campen.

Trotz sicherlich erheblicher nationaler Unterschiede bezüglich rechtlicher Aspekte, sei es dennoch äußerst wichtig, „gemeinsam an der Entwicklung internationaler Standards und Konzepte zu arbeiten, aber auch an regulatorischen Rahmenbedingungen, um eine effektive und nachhaltige Umsetzung der Möglichkeiten digitaler Technologien auch global gewährleisten zu können“, so Sian Thomas (UK Food Standards Agency). „Um der Komplexität gerecht werden zu können, die eine Überwachung der Einhaltung gesetzlicher Auflagen mit sich bringen würde, können Blockchain-Technologien zukünftig eine wichtige Rolle spielen“.

Die Verantwortung für die Entwicklung von Prinzipien und Standards für Unternehmen sowie deren konsequente Überwachung („Due Dilligence“), verortet Shivani Kannabhiran (OECD) gleichermaßen in der Wirtschaft und der Politik. Wichtig ist eine zügige Entwicklung und Umsetzung „international akzeptierter Standards für verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln im Bereich der Lebensmittel-Wertschöpfungsketten. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Open-Source-Lösungen, um Algorithmen transparent zu machen sowie unbedingt und Forschung zu weiteren Pionier-Technologien, um zukünftig alle Aspekte der komplexen Wertschöpfungskette berücksichtigen zu können – u.a. Rückverfolgung im Handel, ‚Moderne Sklaverei‘.

Digitalisierung in Lebensmittel-Wertschöpfungsketten eröffnet der Agrar- und Ernährungswirtschaft ganz neue, vielfältige Potentiale. Aber aus gesellschaftlicher und wissenschaftlicher, vor allem aber aus einer globalen Perspektive, gibt Hermann Lotze-Campen (PIK) zu bedenken, muss es ein Kernanliegen sein, Lösungen zu finden, „wie digitale Technologien in der Landwirtschaft und darüber hinaus dazu beitragen werden, Treibhausgas-Emissionen zu mindern, Ressourcen effizienter zu nutzen sowie die Umsetzung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen zu realisieren“.

Um die vielfältigen Potentiale der Digitalisierung in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette optimal, transparent, nachhaltig und fair zu nutzen, ist es unabdingbar, dass Stakeholder von der Primärproduktion bis hin zum Konsumenten zusammenarbeiten, um mit Hilfe digitaler Technologien zukunftsfähige Lösungen zu finden und vor allem umzusetzen.

Über die Organisatoren:
Leibniz-Forschungsverbund “Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung (LFV LE):
Bereits 2016 wurde auf Initiative von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des LFV LE die „Innovationsinitiative Landwirtschaft 4.0“ ins Leben gerufen, die sich interdisziplinär mit Aspekten fortschreitender Digitalisierung in allen Bereichen der Lebensmittel-Wertschöpfungskette befasst, unter anderem mit Fragen zu gesellschaftlicher Teilhabe.

OECD:
Im Rahmen eines umfassenden Arbeitsprogramms zur Digitalen Wirtschaft laufen zum Thema Digitalisierung in Landwirtschaft und Ernährung zahlreiche Initiativen, z.B. sektorübergreifend zur Frage des Potentials dieser neuen Technologien im Kontext von OECD-Leitlinien zu Due-Diligence.

Weitere Informationen unter:

Kontakt:
Dr. Vera Tekken – Koordinatorin Leibniz-Forschungsverbund „Nachhaltige Lebensmittelproduktion & gesunde Ernährung“
Tel.: 0331 5699 854; E-Mail:
Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB)
Max-Eyth-Allee 100, 14469 Potsdam

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