Der Weg vom Gen zum Protein hat eine wichtige Zwischenstation: Die Ribonukleinsäure oder RNA. Sie ist gewissermaßen eine „Negativ-Kopie“ der Erbsubstanz DNA und dient der Zelle als Vorlage für die Herstellung von Proteinen, den Grundbausteinen des Lebens. Erstellt wird diese „Matrize“ von dem Enzym RNA-Polymerase, das dazu die Information ablesen muss, die in der DNA gespeichert ist.
Bei Bakterien besteht die RNA-Polymerase aus mehreren Untereinheiten. Das Kern-Enzym muss sich mit einem Protein-Molekül namens „Sigma-Faktor“ verbinden, um mit der RNA-Produktion beginnen zu können. Der Sigma-Faktor findet den Startpunkt des abzulesenden Gens – hat er seine Aufgabe erfüllt, löst er sich wieder aus dem Enzymkomplex. Für den nächsten Einsatz müssen der Sigma-Faktor und das Kern-Enzym dann wieder aneinander binden. Gelingt dies nicht, wird keine RNA mehr gebildet und demnach auch keine Proteine mehr. Innerhalb kürzester Zeit kommen die Prozesse in der Zelle zum Erliegen – das Bakterium stirbt ab.
Genau deshalb bietet sich die Schnittstelle zwischen Sigma-Faktor und Kern-Enzym als Angriffspunkt für neue Therapien gegen bakterielle Infektionen an. Eine weitere Eigenheit macht dieses Ziel besonders attraktiv: „Der Sigma-Faktor findet sich nur in Bakterienzellen, in Säugerzellen kommt er nicht vor“, erklärt Kristina Hüsecken, Doktorandin am HIPS und Erstautorin der Publikation. „So können wir sehr spezifisch die Bakterien angreifen, ohne die körpereigenen Zellen zu schädigen.“ Dabei sind nur geringe Nebenwirkungen zu erwarten.
Die Saarbrücker Wirkstoffforscher haben eine Reihe von Peptiden, also kurzen Aminosäureketten, untersucht, die die Polymerase hemmen können. Ihre Struktur entspricht Bereichen aus der Binderegion der beiden Enzymteile: Passgenau docken die Peptide entweder an das Kern-Enzym oder an den Sigma-Faktor, und zwar genau da, wo der Gegenpart normalerweise binden würde. Dadurch können sich die beiden Bestandteile nicht zu einem funktionsfähigen Enzym vereinen, weil die Bindungsstelle bereits belegt ist. Von den 16 untersuchten Peptiden erwies sich eines als besonders wirksam. Das Peptid mit dem Kürzel P07 konnte in weiteren Tests unter Beweis stellen, dass es tatsächlich die Transkription von DNA zu RNA in den Bakterienzellen verhindert, indem es die Interaktion zwischen Sigma und Kernenzym unterbindet.
Mehrere bereits auf dem Markt verfügbare Antibiotika greifen ebenfalls die bakterielle RNA-Polymerase an, darunter das seit den späten 1960er Jahren eingesetzte Rifampicin. Doch diese klassischen Mittel stehen alle vor dem gleichen Problem – die Keime entwickeln Resistenzen und die Mittel verlieren ihre Wirkung. „Da es sich bei unserem Ansatz um ein neues Wirkprinzip handelt, wird es auch nicht zu der bei neuen Antibiotika gefürchteten Kreuzresistenz kommen.“ sagt Dr. Jörg Haupenthal, der Leiter der Studie. Diese kann bei neuen Stoffen auftreten, wenn ihre Wirkweise der eines Antibiotikums ähnelt, gegen das die Bakterien bereits resistent sind.
Ob aus P07 tatsächlich ein Medikament wird, wissen die Forscher um Haupenthal allerdings noch nicht. „Unsere Untersuchungen weisen zwar den Weg zu neuen, wirksamen Antibiotika“, sagt Haupenthal. „Aber um sie zu Medikamenten für den klinischen Einsatz zu entwickeln, sind noch zusätzliche Forschungsanstrengungen notwendig.“ So arbeiten die Forscher an einer Optimierung von P07 und suchen auch nach weiteren Molekülen, die an der gleichen Stelle an die Polymerase binden können.
Originalpublikation:
K. Hüsecken, M. Negri, M. Fruth, S. Boettcher, R.W. Hartmann, J. Haupenthal
Peptide-Based Investigation of Escherichia coli RNA Polmerase σ(70):Core Interface As Target Site
ACS Chemical Biology, 2013, DOI: 10.1021/cb3005758
Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern.
Das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland
Das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) ist eine Außenstelle des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und wurde gemeinsam mit der Universität des Saarlandes im Jahr 2009 gegründet. Wo kommen neue nachhaltige Wirkstoffe gegen weit verbreitete Infektionen her, wie kann man diese für die Anwendung am Menschen optimieren und wie werden sie am besten durch den Körper zum Wirkort transportiert? Auf diese Fragen suchen die Forscher am HIPS mit modernsten Methoden der pharmazeutischen Wissenschaften Antworten.