Biomoleküle vom Band

nsulin, Antikörper als Basis für Impfstoffe und Krebsmedikamente, Enzyme für die Lebensmittel-, Kosmetik und Waschmittelindustrie – schon heute lassen sich viele dieser Wirkstoffe in großem Maßstab biotechnologisch herstellen. Derzeit wird der Bedarf an Biomolekülen oft noch mit Hilfe von lebenden Zellen oder Organismen gedeckt. Dazu statten die Forscher Bakterien, Hefen, tierische oder pflanzliche Zellkulturen mit dem Gen aus, das für das gewünschte Protein codiert. Dann werden die veränderten Organismen in Bioreaktoren massenhaft kultiviert, um schließlich das Protein zu isolieren und zu reinigen. Diese Technologie ist zwar sehr leistungsfähig, aber einige Nachteile. Denn viele dieser Schritte sind zeitaufwändig und teuer. Bakterien und andere Zellen verbrauchen zudem einen Teil der eingesetzten Ressourcen, um sich selbst am Leben zu halten – und senken so die Effizienz der Proteinproduktion. Den größten Nachteil zellbasierter Verfahren nennt Projektleiter Prof. Frank Fabian Bier vom Fraunhofer- Institut für Biomedizinische Technik IBMT in Potsdam: »Zahlreiche Proteine lassen sich in Zellen schlecht oder gar nicht herstellen. Zum Beispiel Membranproteine, die in der pharmakologischen Forschung eine große Rolle spielen. Oder Proteine, die in hohen Konzentrationen die Zelle vergiften und eben deshalb für die Krebstherapie hilfreich sein könnten«.

Proteine ohne Zellen produzieren

Diese Probleme fallen bei den zellfreien Verfahren weg. Denn anstelle lebender Zellen wird dabei nur deren Syntheseapparat in Anspruch genommen. Doch wie funktioniert die »Biomolekül-Produktion vom Band«? Zunächst lösen die Fraunhofer-Forscher die Zellen auf. So gewinnen sie ein Gemisch, auch Lysat genannt, das alle zur Proteinsynthese notwendigen Komponenten enthält. Dazu gehören neben Enzymen auch biologisch aktive Organellen und Membranteile, die den Zusammenbau der Proteine entsprechend ihrer genetischen Bauanleitung ausführen. Die gewünschten Gene kann man direkt dem Lysat zugeben. Sie müssen nicht mehr erst aufwändig ins zelleigene Erbgut eingeschleust werden.

Das Prinzip der zellfreien Proteinsynthese ist seit langem bekannt. Ziel des Fraunhofer-Verbundprojekts ist es, das Verfahren für die industrielle Fertigung zu adaptieren. Die Idee ist aus dem Strategieprozess »Biotechnologie 2020+« des Bundesforschungs-ministeriums BMBF hervorgegangen und wird mit 15 Millionen Euro gefördert; weitere 6 Millionen Euro investiert die Fraunhofer-Gesellschaft. Seit Projektbeginn vor zwei Jahren ist viel erreicht worden: Zunächst wurden automatisierte Zellernte- und Aufschlussverfahren zur Herstellung von Lysaten aus Bakterien-, Tabak- und Insektenzellen entwickelt. Diese Lysate lassen sich vollautomatisch mit Aminosäuren und ausgewähltem Genmaterial befüllen, um so die Synthese spezifischer Proteine in Gang zu setzen.

Zwei Konzepte für Bioreakoren

Derzeit werden zwei Reaktorkonzepte für die industrielle Anwendung erprobt. Das eine besteht aus kleinen Synthesekammern, in denen das Lysat über eine teildurchlässige Membran mit frischen Reaktionsbestand-teilen beliefert und zugleich von störenden Stoffwechselprodukten befreit werden kann. Durch dieses Ver- und Entsorgungssystem lässt sich die Proteinsynthese mehrere Tage lang aufrechterhalten. Das andere stellt eine mikrofluidische Plattform dar, auf der das Ablesen der Gene und die eigentliche Proteinsynthese – ähnlich wie bei Tieren- und Pflanzen – in getrennten Räumen stattfinden. Dieses System eignet sich besonders für Lysate aus Tier- und Pflanzenzellen.

Die Modellreaktoren sind das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit von Biologen, Physikern, Maschinenbauern und Elektronikern aus den acht beteiligten Fraunhofer-Instituten. »Wir haben seit Beginn des Projektes im März 2011 eine Menge Energie darauf verwendet, geeignete Lysate zu produzieren, Messmethoden zu etablieren und Komponenten zusammenzu-stellen, um die Prozesse zu kontrollieren«, betont Prof. Bier. Sein Fazit: »Zellfreie Systeme lassen sich noch weiter optimieren und haben ein enormes Potenzial, auch in großem Maßstab deutlich ökonomischer und ressourcenschonender als bisher wichtige Biomoleküle zu produzieren«.

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