Bayreuther Mikrobiologe erhält bedeutendsten europäischen Forschungspreis

Außergewöhnliche Organismen: Bakterien mit geomagnetischen Sensoren

Biomagnetismus ist ein in der Natur seltenes Phänomen, das nur bei speziellen Arten von Bakterien vorkommt. Besonders gut erforscht ist das Bakterium Magnetospirillum gryphiswaldense. Es ist im Schlamm von Gewässern zuhause und besitzt die Fähigkeit, das Magnetfeld der Erde wahrzunehmen. Zu diesem Zweck stellen seine Zellen winzige Ketten aus eisenhaltigen, würfelförmigen Magnetitkristallen her, die als Magnetosomen bezeichnet werden und als geomagnetische Sensoren dienen. Sie verhalten sich wie zelleigene Kompassnadeln und versetzen das Bakterium in die Lage, die eigenen Schwimmbewegungen entlang den Feldlinien des Erdmagnetfelds auszurichten.

Die in den Bakterienzellen angesiedelten Magnetosomen haben, verglichen mit sonstigen Zellstrukturen im Reich der Bakterien, einen ungewöhnlich komplexen molekularen Aufbau. Die daraus resultierenden Materialeigenschaften, die mit technischen Mitteln bisher nicht erzeugt werden konnten, machen sie für eine Reihe biotechnologischer und biomedizinischer Anwendungen höchst attraktiv. Allerdings ist es schwierig, die in der Natur vorkommenden Magnetbakterien im Labor zu züchten, so dass eine breitere Anwendung bisher nicht möglich war.

Ein wegweisender Forschungserfolg: die Entdeckung von Genclustern

Prof. Schüler hat die Eigenschaften und Fähigkeiten dieses außergewöhnlichen Organismus seit vielen Jahren intensiv untersucht. Diese Forschungsarbeiten, die er seit 2014 an der Universität Bayreuth fortsetzt, führten zu bahnbrechenden neuen Einblicken in die von den Bakterien geleistete Synthese der Magnetosomen. Hierbei handelt es sich um einen genetisch gesteuerten Prozess. Mehr als 30 Gene sind daran beteiligt. Sie sind in Gruppen auf bestimmten Abschnitten des Genoms platziert. Die Arbeitsgruppe von Prof. Schüler konnte einige dieser ‚biosynthetischen Gencluster‘ aus verschiedenen Bakterien identifizieren. Und mehr noch: Erstmals gelang es, für die Herstellung des Magnetosoms zuständige Gencluster in die Zellen eines fremden Organismus – nämlich in das Photosynthese betreibende Bakterium Rhodospirillum rubrum – einzuschleusen. Damit war erstmals bewiesen, dass sich eine derart komplizierte Struktur in fremden Organismen genetisch überhaupt rekonstruieren lässt.

Das Forschungsziel: ein „genetischer Baukasten“ für die Magnetisierung von Organismen

An diesen Erfolg knüpft das Forschungsvorhaben an, für das Prof. Schüler jetzt einen ERC Advanced Grant erhält. Es zielt darauf ab, neue Verfahren zu erschließen und zu erproben, mit denen sich magnetische Eigenschaften in Organismen übertragen lassen, die von Natur aus überhaupt keine derartigen Eigenschaften besitzen. Die genetisch gesteuerte Biosynthese der Magnetosomen, wie sie in M. gryphiswaldense abläuft, bildet den Ausgangspunkt der geplanten Forschungsarbeiten – aber sie ist kein unveränderliches Vorbild. Im Gegenteil: Angestrebt wird ein ‚Redesign‘, das den bakteriellen Prozess der Magnetosom-Herstellung so weit vereinfacht und verkürzt, dass er auf andere Arten von Mikroorganismen übertragen werden kann, die sich im Labor einfacher vermehren lassen. „Unser Ziel ist so etwas wie ein genetischer Baukasten: Dessen Elemente sollen beliebig kombinierbar sein und sich in die Zellen verschiedener Mikroorganismen einschleusen lassen. Hier sollen sie Syntheseprozesse in Gang setzen, welche die Mikroorganismen mit zelleigenen Nanomagneten ausstatten“, erklärt Prof. Schüler.

Übertragung der Magnetosomen-Herstellung auf Bakterien und Hefe

Die Bayreuther Arbeitsgruppe will diese Übertragung zunächst an Escherichia coli-Bakterien erproben, die als Prototyp für die ‚künstliche‘ Magnetisierung von Organismen dienen. E. coli lässt sich im Labor nämlich besonders einfach und in großen Mengen züchten. In einem weiteren Schritt wollen die Mikrobiologen nicht nur von M. gryphiswaldense, sondern auch von anderen magnetischen Bakterienarten lernen, die in ihren Zellen eine große Vielfalt von Nanopartikeln mit magnetischen Eigenschaften produzieren. „Unser genetischer Baukasten zur Magnetisierung von Mikroorganismen soll möglichst reichhaltig ausgestattet sein. Denn so können wir voraussichtlich ein breites Spektrum unterschiedlich strukturierter Magnetosomen produzieren, die dann voraussichtlich bessere und vielleicht sogar ganz neue Materialeigenschaften haben“, so Prof. Schüler.

Langfristig soll sogar versucht werden, die genetische Information zur Herstellung von Magnetosomen in Zellorganellen höherer Organismen einzuschleusen. Prototyp ist hier die Bäckerhefe, die zu den eukaryotischen Mikroorganismen zählt. Bei diesen Forschungsarbeiten will die Arbeitsgruppe Schüler eng mit Prof. Dr. Benedikt Westermann kooperieren, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Zellbiologie innehat und ein international führender Spezialist für Organellen von Hefen ist.

Vielversprechende Anwendungspotenziale:
Von der biomedizinischen Forschung bis zu neuen Funktionsmaterialien

Welcher Nutzen ist von der erfolgreichen Übertragung der Magnetosomen-Produktion auf fremde Bakterien zu erwarten? Die Bayreuther Mikrobiologen verweisen zunächst einmal darauf, dass dies die biotechnologische Herstellung der bisher nur begrenzt verfügbaren Magnetosomen enorm erleichtern würde. Dadurch eröffnen sich spannende Perspektiven für die Herstellung magnetischer Nanomaterialien mit neuen, maßgeschneiderten Eigenschaften. Sie können auf zahlreichen Gebieten der biomedizinischen und biotechnologischen Grundlagenforschung zum Einsatz kommen, zum Beispiel als magnetische Diagnostika oder Therapeutika. In diesem Fall dienen die magnetisierten Organismen als Rohstoff-Lieferanten für Werkstoffe, welche die Welt der Funktionsmaterialien erheblich bereichern könnten.

„Wenn es gelänge, auch höhere Organismen genetisch so zu erweitern, dass sie zelleigene Nanomagnete herstellen, dann würde dies auch ganz neue Aussichten für die ‚Magnetogenetik‘ eröffnen – eine noch junge Forschungsrichtung, die international als vielversprechend gilt“, erklärt Prof. Schüler. So ließen sich zum Beispiel genetisch magnetisierte Zellen mit Hilfe von magnetischen Feldern manipulieren und sortieren. „Besonders reizvoll wäre es, die zelleigenen Nanomagnete für die gezielte Untersuchung, Steuerung und bildliche Darstellung von Strukturen und Prozessen in lebenden Zellen zu benutzen. Damit könnte man ganz neuartige Einsichten für die biomedizinische Grundlagenforschung gewinnen“, so der Bayreuther Mikrobiologe.

Zur Person:

Prof. Dr. Dirk Schüler wurde 1964 in Magdeburg geboren. Nach einem mit Auszeichnung abgeschlossenen Biologiestudium an der Universität Greifswald promovierte er 1994 mit summa cum laude am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried und der TU München. Für seine mikrobiologische Forschungsarbeit wurde er mit Promotionspreisen der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie und der Max-Planck-Gesellschaft ausgezeichnet.

Auslandsaufenthalte als Postdoc, die sein Interesse an der Erforschung der magnetischen Bakterien verstärkten, führten ihn anschließend als Postdoc in die USA, zunächst an die Iowa State University in Ames und später an die University of California in San Diego. Von 1999 bis 2006 leitete er eine Junior-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen; das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatte ihm hierfür einen „BioFuture“-Preis verliehen. 2004 wurde er an der Universität Bremen im Fach Mikrobiologie habilitiert. 2006 übernahm Prof. Dr. Dirk Schüler eine Professur an der LMU München, 2014 dann schließlich die Leitung des Lehrstuhls für Mikrobiologie an der Universität Bayreuth.

Kontakt:

Prof Dr. Dirk Schüler
Lehrstuhl für Mikrobiologie
Universität Bayreuth
95447 Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 / 55-2729
E-Mail: dirk.schueler uni-bayreuth.de

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