Ausstellung „Radiologie im Nationalsozialismus“ in Düsseldorf – Von Opfern, Tätern, Taten

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 5. Dezember 1933 schaffte die „rechtliche“ Grundlage für Verbrechen an insgesamt etwa 360.000 Menschen, die in den zwölf Jahren der Nazidiktatur unfruchtbar gemacht wurden. Deutsche Strahlenmediziner arbeiteten wissenschaftlich an Methoden der Röntgensterilisation zu Zwecken der negativen Eugenik. Zur Sterilisierung mit Röntgen- und/oder Radiumbestrahlung waren 150 Ärzte (unter anderem an allen Universitätsklinika) zugelassen. Laut Recherchen der Historikerin Dr. phil. Gabriele Moser waren es die fachlich am besten Ausgebildeten, die die Röntgensterilisation zu verantworten hatten. Professor Baumann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO): „Die keimschädigenden Effekte von Röntgenstrahlen waren bekannt und man hatte bereits Erfahrungen mit temporärer und dauerhafter Sterilisation. Nun wurde sie von Radiologen und Strahlentherapeuten bewusst eingesetzt, um Menschen mittels Bestrahlung gegen ihren Willen unfruchtbar zu machen.“ Von den insgesamt circa 360.000 Zwangssterilisierten sind etwa zwei Prozent durch Strahlenbehandlung unfruchtbar gemacht worden.

Professor Baumann: „Radiologen waren darüber hinaus auch in einen Missbrauch der Tuberkulosebekämpfung durch Röntgenreihendurchleuchtung involviert.“ Eine speziell eingerichtete SS-Einheit, der „Röntgensturmbann SS-Hauptamt“ unter der Leitung von Professor Hans Holfelder (Frankfurt) stand im Dienst der „Gesundheit des Volkskörpers“. Der Wert des individuellen Menschen wurde vernachlässigt, Ziel war die Erfassung der gesamten Bevölkerung und die Isolation von Erkrankten. 1941, als Teile Polens für die „Umsiedlung von Volksdeutschen“ im Rahmen des „Generalplan Ost“ vorgesehen waren, wurde der „Röntgensturmbann SS-Hauptamt“ in Polen eingesetzt. Professor Baumann zitiert die Forschungsergebnisse: „An eine Therapie der rund 230.000 identifizierten polnischen Tuberkulosekranken war nicht gedacht, sondern diskutiert wurden Reservate und/oder die Tötung der Kranken. Was genau mit den etwa 35.000 Offentuberkulösen, also hochansteckenden Kranken, dann geschah, ist noch nicht abschließend untersucht.“

Unrecht geschah insbesondere auch den jüdischen Kollegen, denen am 1.10.1938 ihre Approbation entzogen wurde und die somit aus der DRG ausgeschlossen wurden. Sie wurden ins Exil getrieben, verfolgt, gedemütigt und/oder ermordet. 165 radiologisch tätige Ärztinnen und Ärzte hat Frau Moser recherchieren können. Ihre Namen werden in der Ausstellung aufgeführt, unter anderem Leopold Freund, der Anfang des 20. Jahrhunderts die erste Strahlentherapie eines Tierfellnävus, eines mit vielen Haaren besetztes Muttermals, in Wien durchgeführt hatte. Professor Dr. med. Norbert Hosten, Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft: „Gerade das Rekonstruieren der Biografien der verfolgten Kollegen war uns sehr wichtig. Ich bin froh, dass unsere Fachgesellschaften nach vielen Jahrzehnten des Schweigens und Verdrängens das dunkle Thema Radiologie im Nationalsozialismus aufgenommen haben.“

Exemplarisch werden auch die Täterseite und deren Karrieren beleuchtet. Die Beteiligung an Medizin-Verbrechen wird an den Humanversuchen des Radiologen Dr. Georg August Weltz deutlich. Er verantwortete die Kälteexperimente an etwa 200 Häftlingen im KZ Dachau 1941/42, von denen circa 70 bis 80 während der Versuche starben.
Die Porträts von Professor Hermann Holthusen (Hamburg) und Professor Boris Rajewsky (Frankfurt) zeichnen den wissenschaftlichen und medizinischen „Alltag“ nach. Die Schwierigkeit, „Täter“ von „Mitläufern“ zu trennen, wird hier sehr deutlich.

Professor Baumann bilanziert: „Großes Unrecht und unmenschliche Verbrechen sind begangen worden, vom Ausschluss jüdischer Ärzte und Physiker aus der Fachgesellschaft bis zur Beteiligung von Radiologen an Zwangssterilisationen und Menschenversuchen.“

Die 24 Schautafeln und Medienstationen umfassende Ausstellung entstand unter der wissenschaftlichen Leitung von Dr. phil. Gabriele Moser und resultiert aus einem zweijährige Forschungsprojekt der Heidelberger Historikerin, das 2010 von der DRG in Auftrag gegeben wurde und dem sich 2012 auch die DEGRO angeschlossen hat. Erstmals war die Ausstellung auf dem Deutschen Röntgenkongress im Mai dieses Jahres in Hamburg gezeigt worden.

„Radiologie im Nationalsozialismus“ ist für die Besucher der 20. DEGRO-Jahrestagung und Interessierte vom 3. bis 6. Juli 2014 in Düsseldorf zu sehen. Weitere Ausstellungsstationen sind in Planung.

Literatur:
Moser, G: Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erlöschen am 30. September 1938“ – Vor 75 Jahren entzog der NS-Gesetzgeber Ärztinnen und Ärzten die staatliche Berufszulassung. Fortschr Röntgenstr 2013; 185(10): 930-935
Moser, G: Radiologie in der NS-Zeit – Teil 1 bis Teil 4. Fortschr Röntgenstr 2014; 186(1): 17-21; 186(2): 116-119; 186(3): 212-217 und 186(4): 329-333.

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Terminhinweise:
Pressekonferenz anlässlich der 20. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie
Termin: Donnerstag, 3. Juli 2014, 11:00 bis 12:00 Uhr
Ort: Congress Center Düsseldorf, Raum 12
Anschrift: Stockumer Kirchstraße 61, 40474 Düsseldorf

Ausstellungseröffnung Radiologie im Nationalsozialismus mit anschließender Führung (Prof. Dr. W. Budach, Dr. F. Eckert)
Termin: Donnerstag, 3. Juli 2014, 12:50 Uhr
Ort: Congress Center Düsseldorf, Raum 8
Anschrift: Stockumer Kirchstraße 61, 40474 Düsseldorf

Symposium Radioonkologie im Nationalsozialismus
Vorsitz: Prof. Dr. N. Willich, Prof. Dr. M. Baumann
Termin: Freitag, 4. Juli 2014, 16:15 bis 17:00 Uhr
Ort: Congress Center Düsseldorf, Raum 16/17
Anschrift: Stockumer Kirchstraße 61, 40474 Düsseldorf

Weitere Informationen zur Tagung und das Programm finden Sie im Internet unter

Zur Strahlentherapie:
Die Strahlentherapie ist eine lokale, nicht-invasive, hochpräzise Behandlungsmethode mit hohen Sicherheitsstandards und regelmäßigen Qualitätskontrollen. Bildgebende Verfahren wie die Computer- oder Magnetresonanztomografie ermöglichen eine exakte Ortung des Krankheitsherdes, sodass die Radioonkologen die Strahlen dann zielgenau auf das zu bestrahlende Gewebe lenken können. Umliegendes Gewebe bleibt weitestgehend verschont.

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Pressekontakt für Rückfragen:

Dagmar Arnold/Lisa-Marie Ströhlein
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e. V.
Pressestelle
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Telefon: 0711 8931-380/ -459
Fax: 0711 8931-167
E-Mail:

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