Venöse Thromboembolien treten meist als tiefe Venenthrombosen (TVT) der Bein- und Beckenvenen in Erscheinung. Die Inzidenz wird in Deutschland auf 80.000 pro Jahr geschätzt. Patienten mit einer TVT haben ein erhöhtes Risiko für Rezidive und Folgeerkrankungen. Zerfällt der Thrombus, können Teile in die Lunge wandern und dort zu einer lebensbedrohlichen Lungenembolie (LE) führen. Jeder klinische Verdacht auf eine TVT muss daher umgehend abgeklärt und gegebenenfalls muss eine Therapie eingeleitet werden.
Tiefe Venenthrombosen (TVT) – sofortige Antikoagulation erforderlich
Bei einer gesicherten TVT ist eine sofortige Antikoagulation erforderlich. Initial werden unfraktionierte Heparine (UFH), niedermolekulare Heparine (NMH) oder Fondaparinux parenteral verabreicht. Ziel der anschließenden längerfristigen Antikoagulation ist es, Rezidive zu verhindern und Folgeerkrankungen zu vermeiden. Diese Langzeitprophylaxe erfolgt mit oralen Vitamin-K-Antagonisten (VKA), die bereits während der Initialbehandlung überlappend verarbreicht werden.
Diese Standardtherapie ist wirksam, hat aber Nachteile. So umfasst die Behandlung anfangs zwei Antikoagulanzien, wobei UFH, NMH und Fondaparinux injiziert werden müssen. Bei der längerfristigen Therapie mit VKA fallen vor allem deren geringe therapeutische Breite, die Notwendigkeit eines Gerinnungsmonitorings, Dosisanpassungen sowie die zahlreichen Wechselwirkungen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten ins Gewicht. Der direkte Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban eröffnet neue Perspektiven zur Antikoagulation bei tiefen Venenthrombosen.
Risiko der Thromboembolie: Antikoagulation bei chirurgischen Eingriffen und bei kardiologischen Grunderkrankungen
Die Vermeidung von Thromboembolien steht besonders bei chirurgischen Eingriffen und bei kardiologischen Grunderkrankungen wie dem Vorhofflimmern im täglichen Fokus moderner Medizin. Die Antikoagulation mit Thrombozytenaggregationshemmern wie Acetylsalicylsäure und Gerinnungshemmern wie Cumarin und Heparinen sind gängige therapeutische Praxis. Neue Optionen bieten erweiterte Chancen zur Vermeidung von tiefen Venenthrombosen. Bei der oralen Antikoagulation hat sich in der Thrombose-Prophylaxe nach elektiver Hüft- und Knie-TEP der Faktor-Xa-Inhibitor als neuer Ansatz bewährt. Der Einsatz des Faktor-Xa-Inhibitors bei anderen Indikationen und der Wunsch nach Zulassungserweiterungen ist eine logische Konsequenz. Den Stellenwert der Antikoagulation mit neuen Medikamenten wie dem Faktor-Xa-Inhibitor bei Patienten mit Vorhofflimmern und bei internistischen Erkrankungen betrachten Prof. Dr. med. Erland Erdmann, Köln und Prof. Dr. med. Sylvia Haas, München.
Strategien zur Risikominimierung von Thromboembolie bei Vorhofflimmern
Prof. Dr. med. Erland Erdmann, Köln
Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Rhythmusstörung, die etwa 2 % aller Erwachsenen und 10 % aller Personen über 80 Jahre betrifft. Die Morbidität und Mortalität ist wesentlich durch Thromboembolien und hier speziell durch die Häufigkeit zerebraler Embolien – also des ischämischen Schlaganfalls – bedingt. Wenn bereits strukturelle Herzerkrankungen (Vitien, Kardiomyopathien, Z. n. Herzinfarkt) vorliegen, kann es beim Auftreten einer Tachyarrhythmia absoluta zur kardialen Dekompensation mit Herzinsuffizienz kommen.
Grundsätzlich gibt es beim Vorhofflimmern vier therapeutische Aspekte:
1. Die Behandlung der Grunderkrankung (koronare Herzerkrankung,
Hypertonie, Hyperthyreose, Herzinsuffizienz, Vitien etc.)
2. Die Thromboembolie-Prophylaxe (mit Vitamin-K-Antagonisten,
Acetylsalicylsäure, zukünftig mit Dabigatran und Rivaroxaban)
3. Die Frequenzkontrolle (Digitalis, ß-Blocker,
Ca-Antagonisten vom Verapamil-Typ)
4. Die Korrektur der Rhythmusstörung (medikamentöse oder
elektrische Kardioversion)
Die Ursachen des Vorhofflimmerns sind vielfältig. Unabhängig davon wird zwischen paroxysmalem, persistierendem und permanentem Vorhofflimmern unterschieden. Da etwa die Hälfte aller Schlaganfälle eine kardiale Ursache haben (insbesondere das Vorhofflimmern), sollten die Faktoren beachtet werden, die am häufigsten zur zerebralen Thromboembolie führen. Hier ist der CHADS2-Score von großer Bedeutung. So kann die Schlaganfallhäufigkeit bei Patienten mit Vorhofflimmern in Abhängigkeit von den Risikofaktoren zwischen 1,9 und 18,5 % variieren.
Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern verbesserungsbedürftig
Wenn Vorhofflimmern länger als 48 Stunden besteht oder paroxysmal auftritt, muss bei entsprechenden Risikofaktoren eine adäquate Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) gesichert sein. In Deutschland wird in der Regel eine Behandlung mit Phenprocoumon durchgeführt. Gerade bei den Patienten, die einer sehr sicheren Antikoagulation bedürfen – nämlich der alten Patienten mit mehreren und/oder stärkeren Risikofaktoren – stößt die Behandlung mit VKA zur Schlaganfall-Prophylaxe trotz der gesicherten Wirksamkeit teilweise auf große Probleme. Zum einen ist die Häufigkeit von lebensbedrohlichen Blutungen gerade bei diesen Patienten deutlich erhöht im Vergleich zu jüngeren Patienten, zum anderen sind die damit verbundenen Probleme (häufige Blutentnahmen zur Bestimmung des Gerinnungsstatus, regelmäßige Arztbesuche, variierende Tabletteneinnahme, Nahrungsmittelinteraktionen etc.) besonders groß.
In kontrollierten Untersuchungen haben 26 % der Patienten über 80 Jahre aus diesen Gründen die notwendige Antikoagulation sogar abgebrochen. Tatsächlich variieren die INR-Werte erstaunlich, sogar bei Patienten unter engmaschiger Betreuung. Schon seit vielen Jahren ist klar, dass die Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern verbesserungsbedürftig ist. Wir benötigen Therapie-Alternativen, die dann optimal wären, wenn eine entsprechende Medikation nur einmal am Tage eingenommen werden müsste, ohne regelmäßige Kontrollen des Gerinnungsstatus, mit weniger Blutungskomplikationen als Phenprocoumon und mindestens gleicher Sicherheit. Der Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban könnte eine solche Alternative sein. In der ersten großen doppelblinden Studie zur Schlaganfallprophylaxe bei Patienten mit Vorhofflimmern, der ROCKET AF-Studie, wurde bei mehr als 14.000 Patienten Rivaroxaban gegen Warfarin untersucht. Der mittlere CHADS2-Score der Patienten betrug ~3,5. Mehr als 55 % der Patienten hatten bereits einen Schlaganfall, eine TIA oder eine systemische Embolie in der Anamnese, ~17 % der Patienten hatten bereits einen Herzinfarkt durchgemacht, und über 60 % litten an schwerer Herzinsuffizienz.
Faktor-Xa-Inhibitor: Vorteile gegenüber Vitamin-K-Antagonisten
Prof. Dr. med. Erland Erdmann faßt zusammen: Neuere Medikamente zur Antikoagulation scheinen gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten bemerkenswerte Vorteile zu haben. Dies trifft für Dabigatran (direkter Thrombininhibitor) und Rivaroxaban (direkter Faktor-Xa-Inhibitor) zu. Prof. Dr. med. Erland Erdmann: „Vielleicht gelingt es, mit den neuen Substanzen, die Patienten, die der sicheren Antikoagulation bedürfen, auch im erwünschten therapeutischen Bereich zu behandeln und damit die Zahl der Schlaganfälle zu senken.“
Thrombosemanagement in der Klinik – Internistische Erkrankungen und ihr Risikopotenzial
Prof. Dr. med. Sylvia Haas, München
Stationäre Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen und Bettlägerigkeit sind durch venöse Thromboembolien gefährdet. Oft ist jedoch unklar, welche Krankheitsbilder unbedingt eine Thrombose-Prophylaxe erfordern und wann man darauf verzichten kann. Analog zur operativen Medizin lässt sich zur Veranschaulichung der Thrombogenese die Virchow’sche Trias heranziehen, die ein Zusammenspiel folgender Komponenten als Auslösemechanismus für venöse Thromboembolien beschreibt:
• Veränderungen der Blutzusammensetzung (Hyperkoagulabilität)
• Veränderungen des Blutflusses
• Veränderungen der Gefäßwand
Bei Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen können alle drei Faktoren zusammentreffen. Somit handelt es sich bei der Entstehung venöser Thrombosen in den konservativen Fachgebieten und in der Inneren Medizin um ein multifaktorielles Geschehen.
Risikofaktoren bei der Thromboseentstehung
Verschiedene Risikofaktoren spielen bei der Thromboseentstehung eine besondere Rolle. Prinzipiell kann man zwei Arten von Risikokategorien unterscheiden: expositionelle und dispositionelle Risikofaktoren. Die Art der Erkrankung definiert das expositionelle Risiko. Beim Schlaganfall mit Lähmung der unteren Extremitäten sowie bei anderen Krankheitsbildern mit intensivmedizinischer Behandlung (z. B. akut exazerbierte respiratorische Erkrankungen mit Beatmung) kommt es ohne routinemäßige Thrombose-Prophylaxe besonders häufig zu thromboembolischen Komplikationen.
Bei den dispositionellen Risikofaktoren handelt es sich um angeborene oder erworbene Risiken, die unabhängig von einer akuten Erkrankung zu einer weiteren Risikoerhöhung für venöse Thromboembolien führen. Die Trennschärfe zwischen expositionellen und dispositionellen Faktoren ist im Falle chronischer Begleiterkrankungen jedoch manchmal undeutlich. Dies betrifft beispielsweise maligne Erkrankungen, die im aktiven Stadium als Auslöser für eine venöse Thromboembolie angesehen werden können. Man kann davon ausgehen, dass der Stellenwert einer malignen Erkrankung als expositionelles Risiko durch das Ausmaß einer tumorassoziierten Hämostasestörung geprägt ist – z. B. Thrombozytenaktivierung, Expression inflammatorischer Zytokine und Produktion von Tumorprokoagulanzien. Bei chronischem Verlauf oder nach abgeschlossener Behandlung maligner Erkrankungen entsprechen sie jedoch mehr den Kriterien eines dispositionellen Risikofaktors.
Auch bei der chronischen Herzinsuffizienz und dem nephrotischen Syndrom handelt es sich um Krankheitsbilder, die generell das Thromboserisiko erhöhen. Ändert sich der Krankheitsverlauf jedoch, z. B. bei einer akuten Verschlechterung, kann diesen Erkrankungen ebenso der Stellenwert eines expositionellen Risikofaktors zugeschrieben werden.
Pathogenese einer Thrombose im Alter
Wegen Verschiebungen der Balance im Hämostasepotenzial und einer stetigen Zunahme von erworbenen Risikofaktoren spielt das höhere Lebensalter im Rahmen des prädisponierenden Risikoprofils eine besondere Rolle. Die wichtigsten Komponenten der Pathogenese einer Thrombose im Alter sind:
• Gefäßwandveränderungen
• Erhöhung der Konzentration von Gerinnungsfaktor I,
Faktor V und Faktor VIII
• Reduktion von Antithrombin (AT)
• Erhöhung der Konzentration von
Plasminogenaktivator Inhibitor (PAI)
• Erhöhte Viskosität von Blut und Plasma
• Eingeschränkte Mobilität
• Multimorbidität
Die Indikationsstellung und die Wahl der Prophylaxeform hängen vom individuellen Risikoprofil ab, das die Kombination von expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren bestimmt.
Physikalische oder medikamentöse VTE-Prophylaxe bei hospitalisierte Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen
Eine Reihe von Studien hat untersucht, ob hospitalisierte Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen bei Vorliegen zusätzlicher Risikofaktoren (insbesondere Bettlägerigkeit über mehrere Tage) von einer physikalischen oder medikamentösen VTE-Prophylaxe profitieren. Hierbei fanden sich unter einer Prophylaxe mit unfraktioniertem Heparin (UFH), niedermolekularem Heparin (NMH) oder Fondaparinux signifikant niedrigere TVT-Raten als unter Placebo, so dass es geboten erscheint, für stationär behandelte Patienten mit Immobilisation eine derartige VTE-Prophylaxe zu empfehlen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die überzeugendsten Ergebnisse mit NMH und Fondaparinux jeweils in Hochrisikoprophylaxe-Dosierung erreicht worden sind.
Zum Einsatz physikalischer Maßnahmen gibt es für internistische Patienten keine ausreichende Datenlage. Die intermittierende pneumatische Kompression der unteren Extremität wurde bisher nicht ausreichend untersucht, und eine Indikation von medizinischen Thrombose-Prophylaxe-Strümpfen lässt sich aus der vorliegenden Datenlage nicht ableiten. Die Evidenz hinsichtlich physikalischer Maßnahmen ist also nicht ausreichend, um eine Empfehlung der routinemäßigen Anwendung zu rechtfertigen.
Verlängerte Prophylaxe mit dem oralen Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban
Zur Frage der verlängerten VTE-Prophylaxe mit NMH wurde bisher nur eine randomisierte Doppelblindstudie durchgeführt. In der EXCLAIM-Studie konnte die Rate proximaler Beinvenenthrombosen durch poststationäre Prophylaxe über einen Gesamtzeitraum von vier Wochen mit einmal täglich 40 mg Enoxaparin im Vergleich zu konventioneller Kurzzeitprophylaxe von 6 bis 10 Tagen von 4,9 % auf 2,8 % signifikant gesenkt werden, jedoch stieg auch die Rate schwerer Blutungen von ?0,15 % auf 0,6 % signifikant an. Wie eine Subgruppenanalyse der EXCLAIM-Studie ergab, profitierten von der verlängerten VTE-Prophylaxe vor allem Frauen, Patienten mit strikter Bettlägerigkeit sowie ältere Patienten über 75 Jahre.
Weitere klinische Studien müssen den Stellenwert einer über den Krankenhausaufenthalt prolongierten Prophylaxe zeigen. In diesem Zusammenhang sind die in Kürze zu erwartenden Ergebnisse der ca. 8.000 Patienten umfassenden MAGELLAN-Studie von ganz besonderem Interesse, da in dieser Studie erstmals eine fünfwöchige Prophylaxe mit einem oralen Antithrombotikum bei internistischen Patienten untersucht wird.
Das Ziel der MAGELLAN-Studie ist der Vergleich der Wirksamkeit und Verträglichkeit der verlängerten Prophylaxe mit dem oralen Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban (10 mg einmal täglich über 35 ± 4 Tage) gegenüber der einmal täglichen subkutanen Injektion von 40 mg Enoxaparin über 10 ± 4 Tage bei der Prävention von venösen Thromboembolien bei stationären Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen (z. B. Herzinsuffizienz, Tumorerkrankungen, Schlaganfall).
Der primäre Wirksamkeitsendpunkt ist eine Kombination aus asymptomatischen und symptomatischen tiefen Venenthrombosen (diagnostiziert durch eine bilaterale Kompressions-Sonografie), symptomatischen nicht-tödlichen Lungenembolien und Thromboembolie-assoziierten Todesfällen am Tag 10 ± 4 (Nicht-Unterlegenheit Test) sowie am Tag 35 ± 4 (Überlegenheit Test). Der primäre Sicherheitsendpunkt ist die Rate an schweren Blutungen und nicht schweren klinisch relevanten Blutungen. „Die Ergebnisse dieser wichtigen und klinisch relevanten Phase-III-Studie werden noch in der ersten Jahreshälfte 2011 erwartet“, so Prof. Dr. med. Sylvia Haas.
Quelle
Workshop: Vom Bein bis zum Kopf – Strategien und Perspektiven in der Antithrombose
Veranstalter: Bayer HealthCare
Irsee, 22.02.2011
- Erfahrung als Ausgangsbasis: Die Anwendung eines Faktor-Xa-Inhibitorsin den orthopädischen Indikationen
Dr. med. Patrick Mouret, Frankfurt - Therapie venöser Thromboembolien: Aktuell publizierte Daten
Prof. Dr. med. Ulich Hoffmann, München - Vorhofflimmern: Strategien zur Risikominimierung
Prof. Dr. med. Erland Erdmann, Köln - Thrombosemanagement in der Klinik: lnternistische Erkrankungen und ihr Risikopotenzial
Prof. Dr. med. Sylvia Haas, München