Nicht alle Patienten sprechen auf antidepressive Medikamente an – Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) sucht Alternativen

Laut WHO (2001) leiden weltweit mehr als eine Milliarde Menschen an Erkrankungen des Nervensystems. In Europa wird sogar ca. ein Drittel der gesamten Krankheitslast durch diese Erkrankungen verursacht. Verbunden mit der ansteigenden Lebenserwartung in industrialisierten Ländern und dem Anstieg neurodegenerativer Krankheiten wird sich der Anteil drastisch erhöhen. Die EU und die an NEURON beteiligten Förderorganisationen haben daher der neurowissenschaftlichen Forschung und ihrer Umsetzung in neue diagnostische und therapeutische Maßnahmen eine hohe Priorität eingeräumt. In die Forschungsausschreibung 2010 wurden insgesamt elf internationale Netzwerkprojekte aus Deutschland, Frankreich und Italien aufgenommen, von denen allein drei am ZI beheimatet sind. Alle drei Projekte befassen sich mit den Ursachen bzw. der Behandlung von Depression und Alkoholismus, also psychiatrische Erkrankungen mit hoher Krankheitshäufigkeit in der Bevölkerung.

Bei einer europaweiten Ausschreibung für Netzwerkforschung zum Thema seelische Störungen ist das ZI bei drei von elf Projekten federführend. Das „Network of European Funding for Neuroscience Research“, kurz NEURON genannt, ist eine von der Europäischen Union (EU) finanzierte Initiative zur Vernetzung auf dem Gebiet der krankheitsrelevanten neurowissenschaftlichen Forschung. ERA-NET ist seit dem 6. Forschungsrahmenprogramm der EU das Hauptinstrument zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen nationalen und regionalen Forschungsförderinstitutionen.

Mit der Entstehung früher Risikofaktoren für eine Depression beschäftigt sich die Studie von Professor Michael Deuschle aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Unter dem Akronym POSEIDON (Pre-, Peri-and POstnatal Stress in human off-spring: an approach to study Epigenetic Impact on DepressiON) wird der Frage nachgegangen, ob und wie sich belastende Lebensumstände und Erfahrungen in sensiblen frühen Lebensphasen eines Kindes in der Regulation der Erbinformation niederschlagen. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Bedeutung der frühen Kindheit für die psychische Gesundheit haben eindrücklich gezeigt, dass belastende Erfahrungen in diesem Lebensabschnitt das Risiko für eine oft Jahrzehnte später auftretende psychische oder körperliche Erkrankung, wie beispielsweise eine Depression, deutlich erhöhen können. Die Hintergründe für diesen Befund sind bislang nicht hinreichend geklärt. Die Studie beginnt schon während der Schwangerschaft der Mutter und wird beim Säugling direkt nach der Geburt und in den ersten Lebensmonaten fortgesetzt. Die Epigenetik als ein relativ junges Spezialgebiet der Biologie, beschäftigt sich mit den Mechanismen der Umwelteinflüsse auf die Genaktivitäten in der Zelle.

Ebenfalls über die Depression, aber mit dem Schwerpunkt der Entwicklung neuer Therapieansätze, forscht das Projekt SuppHab “Improvement of treatment resistant depression by suppression of lateral habenula activity” von Professor Alexander Sartorius, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass bei der Depression ca. 15% der Patienten nicht auf eine antidepressive Medikamentenbehandlung ansprechen. Für diese besondere Patientenklientel werden dringend Behandlungsalternativen benötigt. Eine Voraussetzung dafür ist das verbesserte Verständnis der im Gehirn ablaufenden Verschaltungen verschiedener Hirnareale. Als mögliche neue Therapie der Depression wurde zum Verfahren der tiefen Hirnstimulation bereits am ZI geforscht. Erste vielversprechende Ergebnisse in der Hirnregion lateral habenula (LHb) sind bereits veröffentlicht worden. Allerdings sind die vorhandenen Forschungsdaten zur Weiterentwicklung bzw. als Anwendung eines Therapieverfahrens nicht ausreichend. In SuppHab sollen jetzt die zugrundeliegenden Hypothesen mit Hilfe der Bildgebung und größeren Stichproben weiterbeforscht werden. Das Projekt wird mit Kooperationspartnern in Forschungszentren in Deutschland, Frankreich und Italien durchgeführt.

Dr. Wolfgang Sommer aus der Abteilung Psychopharmakologie ist in seinem Projekt TRANSALC “Dysfunctional neuronal networks in alcoholism: Utilizing translational neuroimaging to identify altered brain connectivity and treatment efficacy predictors” ebenfalls neurowissenschaftlichen Grundlagen für eine verbesserte Behandlung, hier bei Alkoholismus, auf der Spur. Die Pharmakotherapie zur Behandlung und als Rückfallprophylaxe bei Alkoholismus ist für viele Patienten nach wie vor nicht ausreichend zufriedenstellend. Das Projekt TRANSALC soll mit Hilfe der Bildgebung (Kernspintomographie) pharmakologische Wirkungsmuster im Gehirn identifiziert und spezifische „Vernetzungslandkarten im Gehirn“ erstellen, die als Grundlage für neue Medikamente dienen können. Kooperationspartner bei TRANSALC sind Zentren in Deutschland, Kanada, Finnland und Estland.

Weitere Informationen zu NEURON unter
www.neuron-eranet.eu

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