In der Stellungnahme geben die Akademien Empfehlungen, wie die Möglichkeiten der Individualisierten Medizin verantwortungsvoll genutzt werden können. So empfehlen sie, die Forschung zum Verständnis der meist komplexen Krankheitsursachen zu stärken, die Suche nach geeigneten Biomarkern zur Diagnose und Therapie von Krankheiten zu unterstützen und die Forschung zu ethischen, rechtlichen und ökonomischen Fragen der Individualisierten Medizin zu fördern. Dabei gehen die Autoren der Stellungnahme auch Auswirkungen auf das Gesundheitssystem nach, sollte die Individualisierte Medizin flächendeckend Anwendung finden. Zudem sollten medizinische Daten künftig einheitlich erhoben, verarbeitet und in einer elektronischen Patientenakte gespeichert werden. Auch klinische Studien sind an die Besonderheiten der Individualisierten Medizin – zum Beispiel kleinere definierte Patientengruppen – anzupassen. Des Weiteren empfiehlt die Stellungnahme den Ausbau der Infrastruktur an Kliniken im Bereich bioanalytische Hochdurchsatzverfahren und Bioinformatik. Nicht zuletzt müsse der Schutz der Persönlichkeitsrechte gesichert bleiben. Eine weitere Empfehlung zielt auf das Informationsrecht der Patienten, dem Rechnung getragen werden muss ─ unter anderem in der Ärzteausbildung, aber auch durch öffentliche Informationsplattformen, die unabhängige, qualitätsgesicherte und allgemein verständliche Orientierung bieten.
„Die Individualisierte Medizin erschließt eine ganz neue Qualität unseres Verständnisses von Krankheitsursachen. Gleichwohl sind mit ihr zahlreiche medizinische, ethische, rechtliche und ökonomische Fragen verbunden“, sagt Professorin Bärbel Friedrich, eine der Sprecherinnen der Arbeitsgruppe und Vizepräsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. „Dabei geht es zum Beispiel um die rasche Übertragung aussichtsreicher molekularbiologischer Forschungserkenntnisse in die medizinische Praxis. Ebenso geht es um den Schutz von Persönlichkeitsrechten. Zudem sind neue Anforderungen an die Ausbildung von Wissenschaftlern und Ärzten oder an die Patientenberatung wichtige Themen. Ziel der Arbeitsgruppe aus mehr als 20 Wissenschaftlern ist es, Handlungsoptionen aufzuzeigen, die der Weiterentwicklung der Individualisierten Medizin den Weg bereiten“, sagt Friedrich weiter. Drei Jahre lang hat die Expertengruppe um Bärbel Friedrich, Professor Heyo K. Kroemer, Sprecher des Vorstands der Universitätsmedizin Göttingen und Professor Phillip U. Heitz, Departement Pathologie der Universität Zürich, den aktuellen Kenntnisstand zur Individualisierten Medizin zusammengetragen und ausgewertet. Beteiligt waren unter anderem Wissenschaftler aus den Fächern Genetik, Medizin, Mikrobiologie, Pharmakologie, Informatik, Ethik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften.
Ärzte haben ihre Behandlung schon immer auf den einzelnen Patienten ausgerichtet. Die Individualisierte Medizin ist jedoch eine Weiterentwicklung. Insbesondere die Möglichkeit, mittels verschiedener Biomarker Unterschiede im Genom, dem Stoffwechsel oder dem Mikrobiom von Menschen zu ermitteln, weckt Hoffnung auf neue maßgeschneiderte, wirkungsvollere Therapien. So werden zum Beispiel bei chronischen Erkrankungen wie Rheuma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes zunehmend genetische Varianten und weitere Biomarker gefunden, mit denen man Patienten in Untergruppen einteilen könnte. In Therapie von Krebs und in der HIV-Therapie ist die Individualisierte Medizin mit am weitesten fortgeschritten. In der Krebsmedizin arbeiten Wissenschaftler an einem vertieften Verständnis der molekularen Mechanismen in Körperzellen, die zu Krebs führen. Die neuen Erkenntnisse ermöglichen die präzisere Klassifizierung von Tumorerkrankungen und die Entwicklung von zielgerichteter Diagnostik und Therapie.
Individualisierte Medizin – Voraussetzungen und Konsequenzen. Stellungnahme der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, der acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, 112 S., ISBN: 978-3-8047-3341-1
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften unterstützen Politik und Gesellschaft unabhängig und wissenschaftsbasiert bei der Beantwortung von Zukunftsfragen zu aktuellen Themen. Die Akademiemitglieder und weitere Experten sind hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland. In interdisziplinären Arbeitsgruppen erarbeiten sie Stellungnahmen, die nach externer Begutachtung vom Ständigen Ausschuss der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina verabschiedet und anschließend in der Schriftenreihe zur wissenschaftsbasierten Politikberatung veröffentlicht werden.
Für das Projekt „Individualisierte Medizin – Voraussetzungen und Konsequenzen“ hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina die Federführung übernommen.
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