Prof. Dr. Dr. Christian Dierks, Jurist und Mediziner, beschrieb das Dilemma des Arztes im Spannungsfeld zwischen Ökonomie, Patientenanspruch und Berufsethos: Das Sozialgesetzbuch SGB V schreibe vor, dass Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, die der Arzt veranlasst, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Die Begriffe „ausreichend“, „zweckmäßig“ und „nicht mehr als notwendig“ seien laut Dierks durch die Ergebnisse medizinischer Forschung sowie durch Leitlinien definiert. Der Begriff der Wirtschaftlichkeit biete allerdings Interpretationsspielraum, da aktuell nicht festgelegt sei, wie teuer ein bestimmter therapeutischer Mehrwert sein darf. Hier sei der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gefordert, eine Definition zu liefern. Aktuell sei der Arzt aber sicher vor Regressen, solange er dokumentiere, warum er eine bestimmte Therapieentscheidung getroffen habe.
Medizinethiker Prof. Dr. Giovanni Maio fordert ein neues Verständnis der ärztlichen Leistung. Er ermutigte die Ärzte beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag nicht nur den Regeln der Wissenschaft sondern vielmehr der Einsicht zu folgen, was die konkrete Situation eines Patienten erfordere. Dieser hermeneutische Zugang zum kranken Menschen sei in der Antike besser gelungen als heute. Auch heute sollte der Arzt sich wieder mehr auf seine ärztliche Kunst besinnen, die die Fähigkeit voraussetze, mit der Komplexität einer Erkrankung und der individuellen Situation seines Patienten gleichzeitig kreativ und professionell umzugehen. Damit bestätigte Maio indirekt das bio-psycho-soziale Modell, das in der Schmerzmedizin die physischen, psychischen und sozialen Umstände eines Patienten in der Therapieentscheidung berücksichtigt. Sein Schlussappell an die Ärzte: Seid weniger defensiv und verteidigt selbstbewusst eure Profession.
PD Dr. Michael Überall, Vizepräsident der DGS und Präsident der Deutschen Schmerzliga e.V. (DSL), stellte sogar die Verlässlichkeit randomisierter, kontrollierter klinischer Studien (RCT’s) auf den Prüfstand. Verschiedene statistische Auswertungen, wie etwa die sogenannte LOCF-Methode (last observation carried forward, d.h. der letzte von einem Patienten vorliegende Wert wird für die Endauswertung verwendet ; durch diese Schätzung wird damit der Datensatz vervollständigt) führten dazu, dass Studienergebnisse verzerrt werden könnten und zwar umso stärker, je mehr Patienten frühzeitig aus einer Studie ausscheiden. Er rief seine Kollegen daher dazu auf, gerade bei Vergleichsstudien die publizierten Studiendaten kritisch zu hinterfragen.
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Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag 2016 – Patientenversorgung im Mittelpunkt
Der jährlich stattfindende Deutsche Schmerz- und Palliativtag ist mit über 2.000 Teilnehmern der größte deutsche Versorgungskongress für den Bereich Schmerz. Veranstalter ist die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS). Mitveranstalter sind die Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga e.V. (DSL) und die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Palliativversorgung e.V. Vorrangiges Ziel ist die Vermittlung besonders praxisnaher und alltagstauglicher schmerzmedizinischer Inhalte – am Patienten orientiert und direkt aus der Forschung in die tägliche Arbeit übersetzbar. Der Kongress dauerte vom 02. bis zum 05. März.
Weitere Informationen unter www.schmerz-und-palliativtag.de