ADPKD-Therapie: Erfahrungen im Praxisalltag machen die Identifizierung der geeigneten Patienten einfacher

Die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) ist eine stark lebensbeeinträchtigende, chronische und fortschreitende Erbkrankheit der Nieren. Die sogenannten Zystennieren sind die vierthäufigste Ursache für terminales Nierenversagen. Mit Tolvaptan (JINARC®) steht erstmals in Europa eine Behandlungsmöglichkeit der ADPKD zur Verfügung. Der nierenspezifisch wirkende Vasopressin-V2-Rezeptor-Antagonist kann die Krankheitsprogression verlangsamen und ein Nierenversagen hinauszögern.

Auf einem von Otsuka Pharmaceutical Europe veranstalteten Symposium anlässlich des 54. Kongresses der European Renal Association / European Dialysis and Transplant Association (ERA-EDTA) diskutierten Experten die seit der Zulassung in Europa gewonnenen praktischen Erfahrungen mit der Tolvaptan-Thera- pie. JINARC® ist indiziert bei erwachsenen Patienten mit Niereninsuffizienzstadium (CKD) 1 – 3 zu Behandlungsbeginn mit Anzeichen für rasche Krankheitsprogression. In der Praxis habe sich gezeigt, dass die Identifizierung der geeigneten Patienten mit rascher Progression einfacher sei als bisher angenommen, betonten die Nephrologen. Die Nierenfunktion in Bezug zum Alter genüge dafür meist bereits als wichtigster Parameter.
Die ADPKD ist oft mit großen physischen, psychischen und psychosozialen Problemen verbunden, erläuterte Privatdozent Dr. Roman-Ulrich Müller, Köln. Insbesondere die Aussicht auf eine mögliche Dialyse oder Nierentransplantation belaste die Patienten sehr. Mit Tolvaptan bestehe nun erstmals die Möglichkeit, eine Nierenersatztherapie hinauszuzögern. Die randomisierte, placebokontrollierte Phase-III-Studie TEMPO 3/4 ergab, dass die ADPKD-Behandlung mit Tolvaptan zu einer jährlichen Reduktion des Nierenvolumenwachstums um 49 % und zu einer Reduktion des jährlichen Nierenfunktionsverlusts um 32 % führte.3 Auch die klinische Progression (kombinierter sekundärer Endpunkt aus Verschlechterung der Nierenfunktion, Nierenschmerzen, Verschlechterung von Hypertonie und Albuminurie) konnte mit Tolvaptan versus Placebo signifikant verringert werden, so Müller.3 Beachtenswert sei insbesondere die Reduktion klinisch relevanter Nierenschmerzen um 36 %.4 Laut Müller wurde der positive Effekt von Tolvaptan auf das Nierenwachstum über die CKD-Stadien 1 – 3 zu Behandlungsbeginn beobachtet.

Die Praxis zeigt: ERA-EDTA-Empfehlungen zur Indikationsstellung können vereinfacht werden

Für Tolvaptan geeignete Patienten müssen ein CKD-Stadium 1 – 3 zu Behandlungsbeginn mit Anzeichen für rasche Krankheitsprogression aufweisen. Bisher gebe es noch keine etablierte Definition für „rasche Progression“, erklärte Prof. Ron Gansevoort, Groningen/Niederlande. Die 2016 veröffentlichten ERA-EDTA-Empfehlungen zur ADPKD- Behandlung mit Tolvaptan* enthalten einen hierarchischen Entscheidungsalgorithmus über fünf Kriterien, mit dem die für Tolvaptan geeigneten Patienten mit „rascher“ oder „wahrscheinlich rascher“ Progression identifiziert werden können.6 Die Anwendung des Algorithmus sei relativ kompliziert, aber glücklicherweise sei auch eine ERA-EDTA- Empfehlung „nicht in Stein gemeißelt“, so Gansevoort. Durch die klinischen Erfahrungen der letzten beiden Jahre hätten sich drei vereinfachte Kriterien bzw. Fragestellungen aus dem ERA-EDTA-Algorithmus herauskristallisiert, anhand derer es bei einem Großteil der Patienten möglich sei, das Progressionsrisiko einzuschätzen:

Zunächst wird betrachtet, ob die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) mehr als 45 ml/min/1,73 m2 beträgt und ob dieser Wert in Bezug zum Alter relativ niedrig ist, erklärte Gansevoort. Wenn ja, spräche dies bereits für das Vorliegen einer raschen Progression. Das zweite Kriterium für rasche Progression ist eine belegte eGFR-Abnahme von ≥ 2,5 ml/min/1,73 m2/Jahr im Verlauf von 5 Jahren. Auf eine wahrscheinlich rasche Progression weist ein größenadjustiertes Gesamtnierenvolumen (htTKV) entsprechend der Mayo-Klassen7 1C – 1E oder eine mit Ultraschall gemessene Nierenlänge > 16,5 cm vor dem 45. Lebensjahr hin. Die Auswahl der für eine Tolvaptan-Therapie infrage kommenden ADPKD-Patienten anhand der eGFR in Zusammenhang mit dem Alter funktioniere seiner Erfahrung nach bei den meisten Patienten, erklärte Gansevoort. Nur bei wenigen Patienten sei für die Abschätzung des Progressionsrisikos eine Gesamtnierenvolumenmessung mittels MRT oder die Bestimmung der Nierenlänge mit Ultraschall notwendig.

Gansevoort berichtete weiter, dass in Japan bisher die größte Zahl an Patienten mit Tolvaptan behandelt worden seien, da die Zulassung dort früher erfolgt sei als in Europa. Entsprechend umfangreich seien daher die Erfahrungen mit der Therapie auch außerhalb von Studien. In Japan werde in der Praxis im Durchschnitt eine niedrigere Tolvaptan- Dosierung eingesetzt als in TEMPO 3/4. Dies nahm Gansvoort zum Anlass, daran zu erinnern, dass die Tolvaptan-Dosierung variiert werden kann und immer individuell an den Patienten und seine Situation angepasst werden sollte.

Erfahrungen aus der Klinik helfen, das ADPKD-Management weiter zu verbessern

„In der ADPKD-Therapie ist ein neues Zeitalter angebrochen“, betonte auch Dr. Lukas Foggensteiner, Birmingham/Großbritannien. Um den Patienten die bestmögliche Versorgung zukommen zu lassen, seien spezialisierte Kliniken bzw. Zentren erforderlich. Die Entwicklung solcher Zentren werde nun entscheidend vorangetrieben, da mit Tolvaptan jetzt erstmals eine Therapie der ADPKD zur Verfügung stehe. Laut Foggensteiner habe sich in Birmingham ein multidisziplinäres Klinik-Modell bewährt: Hier arbeiten die verschiedenen Fachabteilungen – von der Ambulanz über Radiologie, Pädiatrie und Chirurgie bis hin zur Dialysestation – eng zusammen, wobei im Zentrum die ADPKD-Klinik mit speziellen ADPKD-Schwestern steht, die eine entscheidende Rolle bei der Betreuung der Patienten spielen. Je mehr Erfahrungen man mit der Behandlung der Zystennieren respektive mit der Tolvaptan-Therapie bekomme, so Foggensteiner weiter, desto besser könnten die für Tolvaptan geeigneten Patienten identifiziert werden. Auch das Therapie- Management ließe sich so immer weiter verbessern.

Anhand von unterschiedlichen Kasuistiken wies der britische Nephrologe darauf hin, dass bei jedem Patient die ADPKD anders ausgeprägt sei bzw. verlaufe. Die praktische Erfahrung habe gezeigt, dass die Entscheidung zur Tolvaptan-Therapie immer individuell und gemeinsam mit dem Patienten getroffen werden müsse und zudem stark von dessen Motivation und Lebensumständen abhänge. Dies gelte insbesondere für Patienten mit hohem Leidensdruck, z. B. aufgrund von Schmerzen oder terminaler Niereninsuffizienz bei anderen Familienmitgliedern.
„Die zunehmenden Erfahrungen mit der Tolvaptan-Behandlung in der klinischen Praxis haben dazu geführt, dass die geeigneten Patienten einfacher identifiziert werden können. Und es hat sich gezeigt, dass die Patienten mit der Therapie und der damit verbundenen Aquarese meist gut zurechtkommen“, lautete das Fazit der drei Experten.

* Die Empfehlungen zur ADPKD-Behandlung wurden von der Arbeitsgruppe WGIKD (Working Group on Inherited Kidney Disorders) der ERA-EDTA in Zusammenarbeit mit Experten der European Renal Best Practice Group erarbeitet.

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