Krebserkrankungen – Personalisierte Medizin für eine höhere Lebenserwartung bei Krebstumoren- Ergebnisse ASCO 2010

Krebserkrankungen – Auch in der personalisierten Medizin folgt die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Therapie von Krebstumoren keinen einheitlichen Standards. Allein die positiven Ergebnisse von Phase-II Studien reichen nicht aus, den Erfolg von Phase III Studien uneingeschränkt vorherzubestimmen, wenn genaue Kenntnisse über den Wirkmechanismus einer neuen Substanz fehlen.

Für Prof. Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter des Centrums für Integrierte Onkologie in Köln, ist es daher nicht verwunderlich, dass sich auch auf dem 46th Annual Meeting der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2010 in Chicago (lllinois/USA) die Serie negativer Phase-III-Studien zum Einsatz von Targeted Drugs bei verschiedenen Tumorerkrankungen fortsetzte. „Nur ein präzises biologisches Verständnis des Zusammenhangs von genetischer Alteration, Abhängigkeit des malignen Phänotyps (oncogene addiction) und pharmakologischer Vulnerabilität wird eine substanzielle Verbesserung der systemischen Krebstherapie mit Targeted Drugs ermöglichen“, resümierte Prof. J. Wolf.

Nach Meinung von Prof. Wolf lässt sich ohne Zweifel feststellen, dass die Begeisterung der letzten Jahre über die in der klinischen Onkologie neu eingeführten zielgerichteten Substanzen, den Targeted Drugs, einer Ernüchterung gewichen ist. Erfahrungsgemäß führt diese Erkenntnis aber bei den beteiligten Forschern weniger zur Resignation sondern eher zu einer wissenschaftlichen Motivation.

Targeted Drugs in der Forschung – Kenntnisse über biologischen Wirkort und die Wirkung in Abhängigkeit genetischer Dispositionen Voraussetzung für erfolgreiche Anwendung in der Klinik
Einmal mehr zeigte sich auf dem ASCO 2010, dass positive randomisierte Phase-II-Studien bezüglich der relevanten klinischen Endpunkte wenig Aussagekraft für große Phase-III-Studien besitzen und dass die Mehrzahl der Phase-III-Studien ohne Verständnis für den Wirkmechanismus der neuen Substanz und damit für die möglichen suszeptiblen Subgruppen initiiert werden. Auch in den positiven Phase-III-Studien, die in Chicago präsentiert wurden, z.B. der Einsatz des CTLA4-Antikörpers Ipilimumab beim malignen Melanom oder die Kombination von Chemotherapie und Bevacizumab beim metastasierenden Ovarialkarzinom, können die erreichten Überlebensgewinne nicht als Durchbruch bezeichnet werden. Somit dürfte die „one-size-fits-for-all“-Strategie in der klinischen Entwicklung zunehmend der Vergangenheit angehören.
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Vorgestellt wurden auf diesem ASCO-Meeting auch erfolgreiche Beispiele für den Einsatz von Targeted Drugs bei verschiedenen Tumorerkrankungen auf der Basis der Kenntnisse über den biologischen Wirkort und die Wirkung in Abhängigkeit genetischer Dispositionen. Anführen lässt sich die Therapie von EGFR- mutiertem Lungenkrebs mit den EGFR-Tyrosinkinaseinhibitoren Erlotinib und Gefitinib, von EML4/ALK Fusionsgen-positivem Lungenkrebs mit dem MET/ALK-Inhibitor Crizotinib, von BRAF- mutierten Melanomen mit den RAF-Inhibitoren PLX4032 und GSK2118436 und andere.

Die Weiterentwicklung solcher personalisierter Therapieansätze erfordert auch ein Umdenken in der klinischen Forschung. Immer mehr wird die prinzipielle klinische Prüfung (proof of principle) der Wirksamkeit einer neuen Substanz von Phase-III-Studien in frühe Phase-I,II Studien in genetisch selektionierten Patientengruppen verlagert. Eine solche Strategie erfordert nicht zuletzt ein engeres Aneinanderrücken von Grundlagenforschung und früher klinischer Forschung. Mit der konsequenten Weiterentwicklung personalisierter Krebstherapien besteht zum ersten Mal die Chance, nicht operable Krebserkrankungen von einer akut tödlichen Bedrohung in eine chronische Erkrankung zu verwandeln.

Brustkrebs: radikale Axilladissektion bei klinisch unauffälligen Lymphknoten trotz eines befallenen Sentinel-Lymphknotens nicht zwingend
Die Beiträge zum Mammakarzinom auf dem diesjährigen ASCO-Meeting lassen sich in Beiträge zur frühen („loco-regional and adjuvant therapy“) und zur fortgeschrittenen Erkrankung („metastatic breast cancer“) unterteilen. Die Originalbeiträge können im Virtual Meeting (www.asco.org) angesehen werden.

In den Vortrags- und Posterdiskussionssitzungen „loco-regional and adjuvant therapy“ lag in diesem Jahr einer der Schwerpunkte auf der loko-regionären Therapie, d. h. Chirurgie und Strahlentherapie. Mehrere Studien (NSABP B-32, ACOSOG Z0010) beschäftigten sich mit der Sentinel-Lymphknotenentfernung. Sie konnten zeigen, dass dies ein sicheres Vorgehen ist. Ggf. muss sogar bei Patientinnen mit klinisch unauffälligen Lymphknoten trotz eines befallenen Sentinel-Lymphknotens nicht zwingend eine radikale Axilladissektion angeschlossen werden, da dies keine Auswirkungen auf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patientinnen zu haben scheint (Guiliano et al., CRA 506). Bei älteren Patientinnen über 70 Jahre mit frühen, hormonempfindlichen Karzinomen und adjuvanter Tamoxifen-Therapie trägt die perkutane Radiatio zur lokalen Kontrolle, nicht aber zu verbesserten Überlebenswahrscheinlichkeiten bei (Hughes et al., CRA 507).

Die 4-Jahres-Daten der TARGIT-Studie zeigen eine Gleichwertigkeit der intraoperativen gegenüber der perkutanen Bestrahlung (Baum et al., LBA 517).
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Metastasiertes Mammakarzinom – zielgerichteten Therapieansätze und AGO-Empfehlungen bestätigt
Die Vortrags- und Posterdiskussionsitzungen „metastatic breast cancer“ beschäftigten sich im Wesentlichen mit neuen zielgerichteten Therapieansätzen. Die wichtigste Vorraussetzung hierfür ist die zuverlässige Information über die Tumorbiologie im metastasierten Stadium. Drei Hauptvorträge konnten zeigen, dass es zwischen Primärtumor und Metastase zu therapierelevanten Änderungen von ER, PR und HER2 kommt (Amir et al., Abstract 1007; Locatelli et al., Abstract 1008; Karlsson et al., Abstract 1009). Diese Daten bestätigen im Wesentlichen die AGO-Empfehlungen (www.ago-online.de), die Biologie der Metastase zu sichern, sofern dies klinisch möglich ist.

Brustkrebs – ein Fazit des ASCO 2010
Insgesamt brachte der ASCO 2010 für das Mammakarzinom interessante Daten, die aber keine unmittelbaren Änderungen des klinischen Vorgehens nach sich ziehen werden. Provokativ waren die Daten zur lokoregionären Therapie beim frühen Mammakarzinom – hier bleiben die Vollpublikationen abzuwarten. Für Patientinnen sind sicherlich die zahlreichen vielversprechenden Daten zu neuen zielgerichteten Substanzen auch in klinisch schwierigen Behandlungssituationen (z. B. nach Trastuzumab-Therapie, triple- negative Erkrankung) Grund zur Hoffnung – an einigen der präsentierten Studien waren deutsche Zentren bereits beteiligt, andere Substanzen werden auch frühzeitig in Deutschland zur Verfügung stehen.

Ovarialkarzinom – Bevacizumab verbessert progressionsfreies Überleben
Beim Ovarialkarzinom konnten Burger et al. (LBA 1) zeigen, dass Bevacizumab in Kombination mit der Standardtherapie Carboplatin/Paclitaxel das progressionsfreie Überleben signifikant verbessert (14,1 Monate vs. 10,3 Monate) (GOG 0218 Studie, n = 1.900). Da es in den vergangenen 10 Jahren nur begrenzte Therapiefortschritte gab, stellen die Ergebnisse eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit dar.
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Pankreas – Tyrosinkinasehemmer Erlotinib etabliert
In der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Pankreaskarzinom hat sich der Tyrosinkinasehemmer Erlotinib in Kombination mit Gemcitabin etabliert.

Raucher benötigen eine höhere Erlotinib-Dosis
Rauchen verändert die Pharmakokinetik von Erlotinib durch Induktion der Enzyme CYP1A1/1A2. In einer Phase-ll-Studie an 50 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Pankreaskarzinom, die Erlotinib in steigender Dosierung (maximal 300 mg/Tag) erhielten, zeigte sich ein enger Zusammenhang zwischen Raucherstatus und Erlotinib-Plasmakonzentration: Raucher hatten eine sehr viel niedrigere Plasmakonzentration als Nichtraucher. Bei Rauchern waren im ersten Therapiezyklus Hautausschlag und Durchfall sehr viel seltener als bei Nichtrauchern. Eine Dosiserhöhung war signifikant häufiger .
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Follikuläres Lymphom – PRIMA-Studie belegt Erfolge der Erhaltungstherapie mit Rituximab
Die Hauptmessage bei follikulärem Lymphom war die erfolgreiche Erhaltungstherapie mit einem monoklonalen Antikörper. Gemeint ist der Antikörper Rituximab, der in der Behandlung follikulärer Lymphome bereits zum Standardprogramm gehört, sagte Prof. Dr. med. Wolfgang Hiddemann, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III am Klinikum der Universität München-Großhadern und dem Lehrstuhl für Innere Medizin mit den Schwerpunkten für Hämatologie und Onkologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die französische Arbeitsgruppe um G.A. Salles et al. kamen in ihren Auswertungen der prospektiven PRIMA-Studie mit über 1200 Patienten mit follikulärem Lymphom zu dem Erfolg der Erhaltungstherapie mit Rituximab. Im Ergebnis übertraf das progressionsfreie Intervall durch die Erhaltungstherapie die Erwartungen mit einem signifikanten Vorteil. Unter Erhaltungsdosis mit Rituximab wurde eine Senkung des Rezidivrisikos von ca. 50% erreicht. Prof. Hiddemann: „Also wirklich ein sehr großer und in dieser Dimension für uns alle überraschend positiver Effekt.“ (MEDIZIN ASPEKTE / mr 07/2010)

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